Abgebrochener Friedensprozess

 Krieg in derTürkei - Urlaub im Parlament , Foto: privat

Krieg in derTürkei – Urlaub im Parlament , Foto: privat

IPPNW-Delegationsreise in die Osttürkei

Besuch im Parlament bei Idris Balukan, Fraktionsvorsitzender der HDP  sowie Sezgin Tanrikulu, stellvertretender Vorsitzender der CHP. Beide sprechen von dunklen Zeiten, wie die Türkei sie seit Jahrzehnten  nicht mehr erlebt habe. Sie befürchten eine unumkehrbare Gewaltspirale, wenn der Friedensprozess nicht jetzt wieder aufgenommen wird. Dass die AKP die  Wahl vom 7. Juni 2015 nicht akzeptiert hat, kam einem Putsch gleich. Zwischen den Wahlen Juni bis November 2015 habe es keine Parlamentsarbeit, keine Kommissionen, keine fraktionsübergreifenden Gespräche gegeben.

Das Parlament wird vorgeführt und systematisch blockiert, Polarisierung der Gesellschaft

Erdogans faktisches Präsidialsystem zeige schon jetzt Wirkung. Trotz des verheerenden Anschlags vom 13. März 2016 in Ankara bleibt das Parlament eine Woche in Urlaub, Krisensitzungen finden nicht statt. Sezgin Tanrikulu zitiert Erdogan vom 14. März 2016: „ Die Gesetze müssen verstärkt werden, entweder ihr seid auf unserer Seite oder auf der der Terroristen.“ Und: „Chaos oder ihr wählt mich“, drohte Erdogan vor den Neuwahlen im November 2015. Jetzt schüchtere er die türkischen Wählern erneut mit Chaos und Krieg ein, wenn sie sich weigern würden, das Präsidialsystem einzuführen. Die Gesellschaft werde dabei so polarisiert, dass ein Zusammenleben immer schwieriger werde.

Gestern begann die „Operation“/Ausgangssperre in Yüksekova mit dem Absingen der umstrittenen „Mehter Hymne“, der Kriegshymne des osmanischen Reiches. Dabei umstellten 20.000 türkische Soldaten die Kleinstadt an der iranischen Grenze.

Tanrikulu beschreibt die Problematik in einem Bild: ein Türke und ein Kurde werden zum Tode verurteilt. Der Henker fragt nach ihrem letzten Wunsch. Der Kurde sagt: ich möchte meine Mutter sehen. Der Türke antwortet: ich möchte dass der Kurde seine Mutter nicht sieht. Wie kann man mit diesem Denken Frieden schließen?

Idris Balukan war an allen Friedensgesprächen in Ankara und den Kandilbergen beteiligt. Er nennt zwei Gründe, warum Erdogan den Friedensprozess beendete:
1. Erdogan wollte den Prozess nur für die Einführung seines Präsidialsystems nutzen. Dafür stand die HDP nicht zur Verfügung.
2. Er sieht sich durch den  Erfolg der Kurden in Kobane/Rojava bedroht.
Es müssen die politischen Grundlagen geschaffen werden, damit die PKK politisch arbeiten und die Waffen niederlegen kann. Diese Verhandlungen könne es nicht ohne  Öcalan geben, sonst drohe im Frühjahr eine massive Eskalation der Gewalt.

Beide Parlamentarier beschreiben es als charakterlos von Erdogan, dass er die Flüchtlinge zum Spielball der türkisch – europäischen Politik  macht. Die Europäer sind ein Teil des schmutzigen Deals. Deutschland und die EU müssten sich von Erdogans Kurden- und Kriegspolitik distanzieren und alles dafür tun, dass der Friedensprozess in der Türkei wieder aufgenommen wird.

Besuch bei der deutschen Botschaft, Gespräch mit Robert Dölger, Gesandter der deutschen Botschaft in Ankara

Auch Robert Dölger beschreibt die Situation als angespannt und polarisiert. Seit Suruc (Anschlag im Juni 2015) gebe es die Eskalation der Gewalt. Die  Moderaten würden marginalisiert. Die HDP habe keinen Einfluss auf die bewaffneten Kurden.

Wir beenden das Gespräch bald, da es eine  Terrorwarnung für das Stadtviertel gibt und deshalb die Botschaftsangehörigen sowie die Schüler der gegenüberliegenden deutschen Schule nach Hause geschickt werden. Robert Dölger empfiehlt uns, heute Abend unser Hotel nicht zu verlassen.
Dennoch konnten wir den Vorschlag einer OSZE-Mission für die Türkei aufgrund der Ausgangssperren einbringen. Zudem bestätigt er, dass Syrer  seit dem 1. Januar 2016 keine Visa mehr für die Türkei mehr bekommen, um von dort nach Deutschland zu gelangen. Sie müssen ihre Visaanträge bei den Botschaften in Beirut oder in Amman stellen, da dort keine Visumpflicht besteht.

Elke Schrage, Christa Blum und Johanna Adickes sind TeilnehmerInnen der IPPNW-Delegation in die Osttürkei.