AnwältInnen und ÄrztInnen haben es schwer

Das historische vierfüßige Minarett, in dessen Nähe der Präsident der Rechtsanwaltskammer Diyabarkirs Tahir Elci erschossen wurde.

Das historische vierfüßige Minarett, in dessen Nähe der Präsident der Rechtsanwaltskammer Diyabarkirs Tahir Elci erschossen wurde. Foto © IPPNW

13. März 2018: Am Vormittag haben wir die wieder zugänglichen Gebiete von Sur besucht. Auf der Hauptstraße wirkt es wie normaler Alltag. Aber schon nach wenigen Metern in die verzweigten Nebenstraßen, stoßen wir an hohe Absperrungen, dahinter sehen wir die zerstörten Gebiete, leere Flächen und Bauschutt. Das historische vierfüßige Minarett, in dessen Nähe am 28.11.2015 der Präsident der Rechtsanwaltskammer Diyabarkirs Tahir Elci erschossen wurde, ist unübersehbar mit riesigen türkischen Flaggen behängt. Die Atmosphäre hier scheint gespalten. Während sich am Fuße des Minarettes kleine Gruppen von StudentInnen und SpaziergängerInnen lachend fotografieren, gibt es andere, die schweigend den Ort durchschreiten.

Sie versuchen hinter die hier blickdichte Absperrung zu schauen, wie hinter eine Fassade. Zu beiden Seiten der Straße sehen wir aufgebrochene Wohnungen. Zum Teil fehlen Fenster oder ganze Wände. Mitunter ist altes Mobiliar erhalten. Je näher die Häuser zur Einkaufsstraße stehen, umso mehr sind kleine Werkstätten und Läden aktiv. Je näher wir den Absperrungen kommen, umso stiller und leerer werden die Gassen.

Auf dem Rückweg zum Hotel stoßen wir mitten im rußschwarzen Viertel der Schmieden und Schweißer auf ein verstecktes Innenhofcafé. Junge, städtisch gekleidete Menschen, sitzen an kleinen Tischen ins Gespräch vertieft. Die Architektur, die schwarz-weißen Steine, lassen die Schönheit der alten Höfe ahnen. Am Eingang zum Café führt eine Steintreppe in einen Gewölbeladen. Hier werden auch kurdische Bücher und Handwerk angeboten. Seit acht Jahren existieren das Café und der Laden schon. Offensichtlich haben zumindest Teile der jungen, weltoffenen, städtischen „Szene“ überlebt, die vor dem Krieg hier grade erst entstand.

 In der Anwaltskammer

Besuch in der Rechtsanwaltskammer Diyabarkirs. Foto © IPPNW

Bei unserem Gespräch in der Anwaltskammer mit Ahmet Özmen hören wir, dass in den Ermittlungen um die Ermordung des Präsidenten Tahir Elci keine neuen Erkenntnisse oder Beweise vorliegen. Gerade wurde aber eine Tonaufnahme der Schießerei in ein englisches Labor zur Auswertung geschickt. Sie erhoffen sich davon Klarheit, mit welcher Waffe geschossen wurde. Das könnte die Ermittlungen weiterbringen.

Die wöchentliche Mahnwache für die Aufklärung des Todes von Tahir Elci ist die einzige öffentliche Protestaktion, die ihnen bisher nicht verboten wurde.

Unser Gesprächspartner schildert, wie durch immer neue Dekrete Gesetzgebung ausgehebelt und anwaltliche Arbeit erschwert wird. Dabei hebt er besonders hervor, dass ihre anwaltliche Immunität aufgehoben wurde. „Wenn du jetzt jemanden vertrittst, dem Terrorismus vorgeworfen wird, wirst du selber behandelt, wie ein Terrorist.“ Gegen ca. 65 der Anwält*innen dieser Anwaltskammer laufen aktuell Verfahren.

Herr Özmen schildert, wie Pressekonferenzen von der Polizei blockiert werden, wie Anwält*innen schikaniert und kontrolliert werden. „Das ist alles psychischer Druck, zur Abschreckung“, sagt er. Aber trotzdem würden weiterhin genügend Anwält*innen die Fälle von politisch verfolgten Mandant*innen übernehmen.

Ein großes Problem seien die türkeiweit 4.970 Entlassungen von Richter*innen und Staatsanwält*innen. Die eingestellten jungen und unerfahrenen Ersatzpersonen kommen frisch von den Universitäten, haben kein Referendariat abgeschlossen. Ihre Entscheidungen können daher oft gar nicht rechtsstaatlich sein.

Angesprochen auf seine Prognose wie es mit der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei weiter gehen werde, ist sich Herr Özmen sicher: es wird wieder besser werden.

Zwar würde sich die Türkei mit der Einschränkung der Meinungsfreiheit, der Verletzung der Organisationsfreiheit und anderen Dekreten deutlich von bereits erzielten demokratischen Fortschritten und der EU entfernen. Auch die Gesellschaft werde wieder konservativer. Für ihn aber ist klar, dass die aktuelle Notstandsverordnung so negative Folgen für das gesamte Land habe, dass sie innerhalb der nächsten fünf Jahre spätestens wieder zurückgenommen werden müsse.

Bei der Ärztekammer

Besuch bei der Ärztekammer in Diyarbakir. Foto © IPPNW

Am Abend in der Ärztekammer ist der Empfang sehr herzlich. Dr. Mahmud Ortakaya ist anwesend. Er ist der älteste Arzt in Diyarbakir und war lange Jahre Vorstandsvorsitzender der Ärztekammer. Der Vorstand der gesamttürkischen Ärztekammer wurde im Februar aufgrund der Äußerung „Der Krieg ist absolut gesundheitsgefährdend“ für einige Tage verhaftet. Alle stehen nun unter Melde- und Residenzpflicht. Die Verfahren laufen. „In unserem Land ist es immer schwer Arzt zu sein. Aber wenn Krieg ist, ist es besonders schwer. Denn unser Beruf ist, Menschen am Leben zu erhalten. Und das wollen sie verhindern“.

3.500 ÄrztInnen und 8.500 Angestellte in anderen Gesundheitsberufen sind mittlerweile in der Türkei aus dem öffentlichen Dienst entlassen worden. Während dafür in einigen Gebieten viele neue, regierungsnahe Kräfte eingestellt wurden, ist das hier kaum der Fall. Die Versorgungslücke wird immer größer.

Was ist aus der Gesundheitsreform geworden, fragen wir. „Welche Reform? Es gibt keine Reform. Davon ist nichts übrig“. Statt der Gesundheitszentren gibt es nun FamilienärztInnen mit zu großem PatientInnenstamm um eine ausreichende medizinische Versorgung zu gewährleisten. Dr. Seyhmus Gökalp macht es an seinem Beispiel deutlich: Er hat zusammen mit einer Krankenschwester die Verantwortung für 4.000 PatientInnen. Davon wohnen nur ca. 1.000 in der Stadt, der Rest lebt in Dörfern in der Umgebung. Von seinem Lohn bezahlt er die Miete für die Praxis, alle Materialien und Fahrtkosten. Da die meisten Menschen aus den Dörfern den Weg in die Stadt nicht bewältigen können, macht er viele Fahrten in die Dörfer.

Unter diesen Umständen leidet vor allem die Grundversorgung wie Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen. In Notfällen können die Menschen immer noch ins Krankenhaus.

Die früher kostenlose Behandlung in den Krankenhäusern wird nach ihren Angaben jetzt mit versteckten Aufschlägen auf Medikamentenpreise durch die PatientInnen mit bezahlt. „Die Regierung betrügt die Leute, das ist unethisch“. Leider würden das zu wenige Menschen verstehen, sonst wäre der Protest größer.

Der Druck auf die Verbliebenen in den Gesundheitsberufen ist groß. Die Situation der Entlassenen noch schlechter. Den meisten wird auch die Arbeit in Privatkliniken verboten. „Es gibt eine Markierung im Zentralregister neben deinem Namen und dann bekommst du keine Arbeit mehr“.

Viele leiden selber stark gesundheitlich oder psychisch, haben Traumata. Gezielte Traumabehandlung für ÄrztInnen gibt es nicht.

Auch hier werden wir auf Afrin angesprochen. Warum ist Europa so leise? In Afrin würde ein Kampf um die Menschenrechte aller Menschen gekämpft. Das müsste Europa verstehen und sich einmischen.

Elke Schrage und Sara Kokemüller sind Teilnehmerinnen der Reise von IPPNW-Mitgliedern in die Region.

Ein Gedanke zu „AnwältInnen und ÄrztInnen haben es schwer

  1. Liebe Gisela, Sara und Elke,
    Das sind tief erschütternde Berichte über die aktuelle Situation der Zivilbevölkerung in Diyarbakir! Und es ist sehr mutig und großartig, dass Ihr in die Türkei gefahren seid um zu berichten. Danke!
    Angelika

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