Drei Lehrer der Menschlichkeit: Einstein – Gandhi – Jaspers
In dieser Abhandlung blicke ich hin zu jenen Pazifisten, für die die Verhinderung eines Atomkriegs verbunden war mit der Überwindung des Krieges überhaupt: Albert Einstein, Mahatma Gandhi und Karl Jaspers.
Albert Einstein sah sehr deutlich, dass der technische Fortschritt sich dort am schlimmsten auswirkt, wo er die Mittel zur Vernichtung von Menschenleben liefert. So schlimm wie die Vernichtung dünkte ihn die entwürdigende Knechtschaft, in die der Einzelne durch den Krieg hineingerissen werde, den Krieg, den die Herrschenden und Machtbesessenen zugleich verherrlichen.
Einstein prognostizierte, dass die Anwendung der Atomenergie zur militärischen Massenvernichtung die Zukunft der ganzen Menschheit bedrohte. Neue Kriege seien zudem unvermeidlich, solange souveräne Nationalstaaten weiterhin rüsten. Die Verhinderung des Atomkrieges könne nur gelingen in der Anstrengung der Ausrottung des Krieges überhaupt. Gelinge das nicht, würden nicht neue Wege des Denkens gegangen, so sei die Menschheit dem Untergang geweiht. So unterzeichnete Einstein eine Erklärung vom 10.Oktober 1945, in der es heißt, die Atombombe habe nicht nur die Stadt Hiroshima zerstört, sondern auch unsere längst überholten politischen Ideen seien endgültig erloschen. Die Charta der Vereinten Nationen könne nur einen Anfang darstellen und garantiere den Frieden nicht.
Einstein stellte sich der Frage, wie der Herstellung und dem Einsatz furchtbarer Angriffswaffen für die Massenvernichtung begegnet werden sollte. Er schlug immer wieder die Schaffung einer Weltregierung vor, die die Befugnis zur gesetzlichen Schlichtung von Konflikten und die Macht zur Durchführung ihrer Entscheidungen besitze. Auf dieses radikale Ziel hin müssten wir alle arbeiten. Über die Charta der Vereinten Nationen, eine völkerrechtliche Proklamation, hinausgehend, erklärte Einstein, dass die Verhütung von Kriegen – mit oder ohne Atombombe – für ihn das wichtigste aller Ziele im internationalen Bereich sei. Solange die Sicherheit in der nationalen Ausrüstung gesucht werde, dürfte kein Land zum Verzicht auf eine Waffe bereit sein, die im Falle eines Krieges den Sieg verspreche.
Einsteins Aufruf, an der völligen Überwindung des Krieges unermüdlich zu arbeiten und dafür Verbündete zu finden, wird in dem Gedanken deutlich, dass Sicherheit nur durch den Verzicht auf jeglichen nationalen militärischen Schutz erreichbar sei. Einer kollektiven Bemühung der militärisch schwachen Nationen in dieser Richtung maß er einige Aussicht auf Erfolg bei. Gegen Ende seines Lebens wurde Einstein immer klarer darin, dass wir nicht aufhören dürfen, in jeder Stunde des Lebens das Unerreichbare anzustreben: die Abschaffung des Krieges.
In dem Einstein-Russell-Manifest vom 9. Juli 1955, das Russell entworfen hatte, heißt es, zum Ausdruck gebracht werde die ernsthafte Gefahr der Ausrottung der Menschheit durch Staub und Regen radioaktiver Wolken. Zudem wird In den Vorbemerkungen hervorgehoben, dass der Vertrag über ein Verbot der Kernwaffen zwar die politischen Spannungen verringern könnte, aber keine grundsätzliche Lösung des Problems bilde. Zweifellos würden solche Waffen in einem großen Krieg, trotz aller gegenteiligen vorherigen Abmachungen, erneut hergestellt und angewandt werden. Die einzige Hoffnung für die Menschheit bestehe in der Verhütung von Kriegen. Die Erklärung solle zum Nachdenken über die dazu erforderlichen Schritte anregen. In dem Manifest selber heißt es dann später, wir müssten lernen, anders zu denken als bisher. Trügerisch sei die Kalkulation, man könnte weiter Kriege führen, wenn nur ein Verbot der modernen Waffen erzielt werde.
Dies gilt auch heute noch: Ein Abkommen über das Verbot der Atombombe bildet einen weiteren Schritt hin auf die Überwindung der atomaren Vernichtungslogik , einen wichtigen und zugleich nicht genügenden. Aufgerufen mit dem Manifest wurden schon damals alle Menschen, an ihr Menschentum zu denken und alles andere zu vergessen.
Mahatma Gandhi setzte sich selber der Frage aus, ob er an seinem Glauben an Wahrheit und Gewaltfreiheit festhalten könne, konfrontiert mit der atomaren Zerstörung. Seine Antwort lautete, die Atombombe habe seinen Glauben nicht zu zerstören vermocht; vielmehr habe sie eindeutig bewiesen, dass die „Zwillinge Wahrheit und Gewaltfreiheit“ die mächtigste Kraft auf der Welt bilden, eine Kraft, gegen die die Bombe nichts auszurichten vermöge. Die Kraft der Wahrheit, die nur in Gewaltfreiheit gelebt werden könne, und die Kraft der Unwahrheit, die zur Gewalt führe, seien gänzlich verschieden: Die eine sei moralischer und spiritueller Natur, die andere physischer und materieller. Die erste sei der zweiten unendlich überlegen, da diese durch sich selbst begrenzt sei. Gandhi spricht auch von der „Kraft des Geistes“, die in jedem Menschen wohne – ungeachtet seiner Hautfarbe. Eine Rettung vor der Selbstvernichtung gebe es nicht, wenn wir diese Wahrheit nicht anerkennen und uns nach Kräften um ihre Verwirklichung bemühen. Bomben könnten niemals durch gegnerische Bomben unschädlich gemacht werden.
Ein einstweiliges Angewidertsein durch die Zerstörungsgewalt, der Ekel an ihr reichen nach Gandhi nicht aus. Wenn die Übelkeit weiche, werde die Welt sich gierig mit neuem Eifer in die Gewalt stürzen. Nach Gandhis Ansicht hat die Atombombe das edelste Gefühl abgestumpft, das die Menschheit über Jahrtausende aufrechterhalten habe. Zu dieser Abstumpfung, zu diesem Ekel der Menschheit an sich selbst zählte Gandhi auch das „sogenannte Kriegsrecht“, das den Krieg nicht überwinden, sondern erträglich und hinnehmbar machen sollte. Von da aus drängte es auch ihn zu dieser nackten Wahrheit, dass der Krieg nur das Recht des Stärkeren kenne. Der nicht-belehrende Lehrer wusste, dass Bomben niemals durch gegnerische Bomben unschädlich gemacht werden, so wenig wie Gewalt durch Gegengewalt. Die Menschheit könne sich ausschließlich durch Gewaltfreiheit von der Gewalt befreien. Satyagraha dachte und lebte Gandhi als Festhalten an der Wahrheit (nicht als ihren Besitz), als Wahrheitskraft, auch als Liebeskraft, Seelenkraft.
Den Mediziner und Philosophen Karl Jaspers, der sich gegen die atomare Vernichtungsmaschinerie denkend erhob, rufe ich als dritten Lehrer der Menschlichkeit heran. Seine Schülerin Hannah Arendt sah ihn als Denker der „Existenzerhellung“, der „Humanitas“ des Menschen, als Mit-Denkenden.
Arendt kritisierte die erzwungene, aufgeherrschte Einheit „unter dem dunklen Schatten des Monsters“ (Günther Anders) und suchte nach der nach der politischen Bedeutung der Freundschaft. Karl Jaspers stimmte dem verbreiteten Gedanken, die Atombombe sei abzuschaffen, man solle die Versuche einstellen, die Herstellung der Atombomben verbieten, die hergestellten vernichten, dieser Weg sei durch einen Vertrag zu beschreiten, dessen Bedingung die gegenseitige Kontrolle sei, nicht einfachhin zu. Eine unfehlbare Konsequenz, so gehe der bellizistische Zustand der Staaten über zu einer Staatengemeinschaft, die sich gründe auf das Recht von Verträgen, schien ihm nicht gegeben; ungewiss sei der Übergang vom dem Zustand bloßer Koexistenz, die jeden Augenblick durch den Gewaltakt einer Seite sich in Krieg verwandeln könne, in den Zustand der Kooperation. Vielmehr schienen Jaspers die Abschaffung der Atombombe und die Errichtung einer wirksamen Kontrollinstanz unmöglich als ein isolierter, selbstständiger Vorgang auf Grund verständiger politischer Planung. Kontrolle und Überwindung seien nur möglich mit allgemeiner Abrüstung.
Der „abendländische Pazifismus“ des Philosophen ging darauf, dass der Weltfriede nur durch den Beginn einer „neuen Politik“ möglich sei. Recht und Gerechtigkeit sollten herrschen statt Gewalt; zwar sei vollkommene Gerechtigkeit nie zu erreichen, aber der Mensch, die Menschheit könnten sich bemühen, auf dem Weg der Gerechtigkeit weiterzukommen.
Jaspers fasste seine und die Gedanken des Physikers Max Born zusammen: Gewalt dürfe nicht mehr Mittel der Politik sein, abzuschaffen sei der Krieg. Doch Jaspers entging auch nicht, dass die „neue Denkweise“: Abschaffung des Krieges überhaupt, gewaltlose Politik gerinnen könnte zu einer bloßen belanglos werdenden Formel. Ihm ging es um eine „existentielle Wandlung“, um ein tiefgehendes Umdenken, um eine „neue Denkungsart“, um den Schritt vom bloßen Verstandesdenken zum umgreifenden Vernunftdenken. Vernunft sei gleichsam der Ort, an dem und von dem her wir leben, wenn wir nur zu uns selbst kommen wollen. Sie sei das eigentlich Menschliche, so sein Aufruf zur Selbst- und Weltveränderung als Voraussetzung für die Wandlung zu einer neuen Politik, der das Ende seines Buchs bildet, zu einer Politik, in der die Kriege und die Drohung mit ihnen aufhören. Nur dies sei gesagt. Jaspers stellte die Grundfrage, wodurch das Leben lebenswert sei. Die drohende Vernichtung abzuwehren, werde nicht gelingen mit Maßnahmen, die sich auf die Atombombe beschränken. Nötig sei die Umkehr, die Umkehr zu einer neuen Politik nicht allein, sondern zum wahrhaftigen Friedenswillen, zu einem „gewaltlosen Kampf“ für den Frieden. Notwendig war für ihn eine Politik der Gewaltfreiheit und, auf ihren Horizont bezogen, ein Menschheitsrecht, das die Schranken des Völkerrechts überwindet.
Literatur:
Otto Nathan und Heinz Norden (Hrsg.) Albert Einstein. Über den Frieden. Weltordnung oder Weltuntergang?, Neu-Isenburg 2004
Johan Galtung / Arne Naess, Gandhis politische Ethik, Baden-Baden 2019
Hannah Arendt, Menschen in finsteren Zeiten, 3. Aufl. München / Zürich 2014
Karl Jaspers, Die Atombombe und die Zukunft des Menschen, 6. Aufl. München 1982
Prof. Dr. Arnold Köpcke-Duttler ist Rechtsanwalt und Diplom-Pädagoge.