Das Verfassungsreferendum

Flugblattaktion zum Referendum in Kiziltepe mit Teilnehmerinnen der IPPNW-Delegation, Foto: IPPNW

Flugblattaktion zum Referendum in Kiziltepe mit Teilnehmerinnen der IPPNW-Delegation, Foto: IPPNW

Am 16. April 2017 stimmt das türkische Volk über die Verfassungsänderungen ab, die Präsident Erdogan zum Alleinherrscher machen sollen. Die Änderungen von 18 Paragraphen haben alle nur ein Ziel: die Macht im Land auf den Präsidenten zu konzentrieren.
Der Präsident der Anwaltskammer Diyarbakir, Ahmet Özmen, sagte sinngemäß:
Ein Referendum abzuhalten unter dem Ausnahmezustand, in einer Situation der Polarisierung und der Spannung, ist falsch. Die Verfassung soll die Menschenrechte und die Rechte der Bürger sichern. Für Änderungen braucht es klare Köpfe. Alle gesellschaftlichen Gruppen müssen sich in einer Verfassung wiederfinden. Aber hier haben zwei Parteien im Geheimen beschlossen, welche Änderungen vorgenommen werden sollen. Die jetzige Verfassung ist als Folge des 1980er Putsches entstanden. Sie ist keine gute Verfassung. Um sie aber zum Guten zu verändern, braucht es einen breiten Diskurs. Das Referendum wird kein neues Zeitalter einläuten. Unabhängig vom Ausgang werden alle Probleme am 17. April 2017 noch da sein. Die Lösung ist nicht ja oder nein. Ein neuer Weg zu einer neuen Verfassung muss gefunden werden. Wichtig ist, dass die Gewaltenteilung erhalten bleibt, die drei Säulen der Demokratie, die sich gegenseitig kontrollieren.

Es gibt bei diesem Referendum sehr ungleiche Bedingungen: Die mediale Präsenz derer, die die Änderungen ablehnen, wurde sehr stark eingeschränkt. Im Fernsehen sind 90% der Sendezeit dem Präsidenten und seiner Partei vorbehalten, die CHP, die Nein sagen wird, bekommt als Alibi für das demokratische Vorgehen 10% der Sendezeit. Die HDP als drittgrößte der im Parlament vertretenen Parteien, ist öffentlich nicht zu sehen und zu hören. Ihre wichtigsten Vertreter sind im Gefängnis. Ihre Abgeordneten tingeln durch die Provinz und versuchen, die Menschen mit Flugblättern und in persönlichen Gesprächen zu erreichen.

Trotzdem ist nach Meinungsumfragen der Ausgang des Referendums ungewiss. Die Befragungen sind allerdings schwierig, weil viele Menschen Angst haben und die Fragen nicht beantworten. Der Präsident hat ein Klima der Angst, des Misstrauens und der gegenseitigen Bespitzelung erzeugt. Darüber, was der Ausgang des Referendums für Folgen haben wird, haben wir die unterschiedlichsten Spekulationen gehört. Das reicht von der optimistischen Hoffnung, dass ein Nein zu einem Umdenken beim Präsidenten und seiner AKP führen und sie das Land zurück in die Demokratie führen würden, über die Hoffnung, dass unabhängig von Ausgang sich die Lage entspannen und viele der Gefangenen frei kommen könnten bis hin zu der fatalistischen Aussage, dass der Präsident ganz unabhängig vom Ausgang seine despotische Politik fortsetzen werde.

Gisela Penteker koordiniert die IPPNW-Delegationsreisen in die Türkei.