Seit Anfang des Jahres sitzt Deutschland als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Acht Monate, in denen Deutschland bereits für einen Monat die Präsidentschaft übernahm, sind vorbei. Welche Ziele wurden erreicht? Inwiefern hat Deutschland seine gesteckten Schwerpunktthemen in den Sicherheitsrat einbringen können? Mit welchen Schwierigkeiten war Deutschland in den letzten Monaten konfrontiert? Diesen und weiteren Fragen widmete sich am 28. August 2019 der Diskussionsabend „Deutschlands globale Verantwortung – Zwischenbilanz der Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat“ der Deutschen Gesellschaft der Vereinten Nationen (DGVN) in Zusammenarbeit mit der Global Perspective Initiative.
Neben Dr. Christoph Heusgen, ständiger Vertreter der BRD bei den UN in New York, saßen auch Franziska Brantner, MdB und Parlamentarische Geschäftsführerin Bündnis 90/ Die Grünen, Ralph Achenbach, Landesdirektor des International Rescue Committees, und Prof. Dr. Varwick, Inhaber des Lehrstuhles Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Universität Halle-Wittenberg, auf dem Podium und brachten ihre unterschiedlichen Sichtweisen in die Diskussion ein.
Heusgen betonte in seiner ersten Zwischenbilanz die aktuelle, angespannte „Großwetterlage“ weltweit. In zahlreichen großen Konflikten sind keine Lösungen in Sicht und insbesondere die Lage der humanitären Opfer ist überwiegend unverändert. Der Handlungsspielraum Deutschlands in diesen Konflikten ist jedoch sehr beschränkt und die destruktive Haltung der P3 (China / Russland / USA) verhindert Fortschritte in zentralen Fragen. In Bezug auf die angekündigten Schwerpunktthemen Deutschlands zog Heusgen jedoch eine sehr positive Bilanz. Deutschland habe sich in den letzten acht Monaten stark für internationales humanitäres Recht und den verstärkten Einbezug der Zivilgesellschaft eingesetzt. Die Resolution 2467 zum Schutz vor sexueller Gewalt in Konfliktregionen, die von Deutschland in den Sicherheitsrat eingebracht wurde und am 23. April 2019 angenommen wurde, sieht er als den zentralen Fortschritt in dem deutschen Kernanliegen „Frauen, Frieden und Sicherheit“.
Auch die europäische Zusammenarbeit (derzeit mit Frankreich, Großbritannien, Belgien und Polen) bezeichnete Heusgen als sehr positiv und eng. Bislang seien alle Abstimmungen innerhalb dieser Gruppe einstimmig verlaufen und selbst Großbritannien gebe sich im Sicherheitsrat pro-europäisch. Ein fundamentales Problem in der Zusammenarbeit mit den USA sei, dass die US-Regierung derzeit alle, unter Obama geschlossenen, Resolutionen als nicht mehr bindend betrachtet.
Während Franziska Brantner das verstärkte zivilgesellschaftliche Engagement im Sicherheitsrat ebenfalls als Erfolg Deutschlands verzeichnete, sieht sie die RES 2467 hingegen nicht als Fortschritt. In der endgültigen Fassung seien zentrale Aspekte gestrichen worden und die endgültigen „UN-Formulierungen“ seien leere Worte, die nichts bewirken würden. Die Annahme dieser Fassung sieht Brantner als klaren Rückschritt Deutschlands in seinem Kernanliegen und sie forderte Heusgen auf, den deutschen Standpunkt bei weiteren Diskussionen stärker zu vertreten. Allgemein habe Deutschland in seiner Amtszeit bis jetzt „Glück“ gehabt, da es noch nicht zu großen, ausschlaggebenden Abstimmungen, wie beispielsweise über Kriegseinsätze, gekommen sei und Deutschland somit auch keine klaren Stellungen habe beziehen müssen.
Auch Ralph Achenbach kritisierte die endgültige Fassung der RES 2467. Dass Deutschland sich mit dieser Fassung zufrieden gegeben habe, zeuge lediglich von einer fehlenden starken Gegenstimme. In vielen internationalen Organisationen würden Frauen inzwischen zwar immer mehr als Gestalterinnen des Friedensprozesses und nicht mehr nur als Opfer wahrgenommen. Dennoch sieht er weiterhin einen extremen Verbesserungsbedarf in der gleichberechtigten Beteiligung und die Endfassung der RES 2467 werde dazu nicht beitragen. Darüber hinaus forderte er mehr finanzielle Mittel für die Organisationen vor Ort.
Als Antwort auf diese Kritik erläuterte Heusgen, dass man sich, nach langen Diskussionen in New York, gemeinsam dafür entschieden hätte, die veränderte Fassung der RES 2467 anzunehmen, anstatt komplett auf eine Resolution zu verzichten. Deutschland sei sich den zentralen Aspekten, die dieser Fassung fehlen, durchaus bewusst. Jedoch werde in der Resolution sexuelle Gewalt zum ersten Mal als Kriegsinstrument gesehen und als solches verurteilt, was bereits Grund genug gewesen sei, die Resolution, auch in dieser Fassung, anzunehmen.
Laut Prof. Dr. Varwick sind die aktuellen Themen im Sicherheitsrat einfache „Schönwetterthemen“ und er kritisierte im Zuge dieser Aussage die aktuelle Herangehensweise an den Sicherheitsrat. Hauptziel des Sicherheitsrates sollte weiterhin die Wahrung des Weltfriedens, unter Einbeziehung der Großmächte sein. Anstatt unangenehme Themen zu diskutieren, würden die derzeitigen Mitgliederstaaten den Sicherheitsrat mit „falschen“ Fragen und Themen überfrachten. Deutschland bringe, durch seinen ausgeweiteten Sicherheitsbegriff, der auch Aspekte der Konfliktprävention beinhaltet, überwiegend Themen in den Sicherheitsrat ein, die dort fehl am Platz seien.
Sowohl Brantner als auch Heusgen widersprachen dieser Aussage vehement und sprachen sich dafür aus, Themen der Konfliktverhütung weiterhin in den Sicherheitsrat einzubringen. Man müsse prospektiv Themen, die in ein paar Jahren zu Konflikten führen könnten, behandeln und auf die Agenda setzen. Nur so könne Sicherheit gewährleistet werden. Die weltweiten Klimakatastrophen gehörten zu den Themen, die unsere Sicherheit in den nächsten Jahren extrem gefährden könnten. Auch wenn der Sicherheitsrat dieses Problem aufgrund seines operativen Rahmens nicht allein lösen könne, solle dieses Thema in den nächsten Monaten seitens Deutschlands dennoch Teil der Agenda werden. Der Vorschlag Deutschlands habe unter den E10 (Elected 10) große Zustimmung gefunden, auch deswegen, weil sich unter diesen derzeit einige Inselstaaten befinden, die durch den Klimawandel stark betroffen sind.
Die Fragen aus dem Publikum deckten verschiedene Themen ab, inklusive des Iran-Themas. Heusgen betonte in seiner Antwort, dass dieses Thema durchaus immer wieder auf der Agenda des Sicherheitsrates stand und steht, auf die Fragen zum Schutz der Wasserwege bis jetzt jedoch keine konkreten Antworten gefunden worden seien.
In seinen Schlussworten griff Detlef Dzembritzki, Vorstand der DGVN, einerseits die Probleme des Sicherheitsrates noch einmal auf. Die Diskussion des Abends hätte gezeigt, dass der Sicherheitsrat, strukturell wie auch inhaltlich, nicht vollkommen ist. Andererseits betonte er jedoch auch, dass dieses Gremium ein zentrales Element in der multilateralen und internationalen Zusammenarbeit darstellt und jeder noch so kleine Schritt des Gremiums als positiv gesehen werden muss. Abschließend rief er sowohl die deutsche Vertretung bei den UN als auch den Bundestag und die Parlamentarier dazu auf, sich weiterhin für die Aufgaben und Ziele des Sicherheitsrates einzusetzen.
Katharina Kohler ist Studentin des Bachelorstudiengangs „Internationale Beziehungen“ und derzeit Praktikantin in der Geschäftsstelle der IPPNW in Berlin.