Die Mehrheit der Staaten will ein Atomwaffenverbot

ICAN protestiert vor den Botschaften der Staaten, die einen Verbotsvertrag blockieren wollen. Foto: ICAN

ICAN protestiert vor den Botschaften der Staaten, die einen Verbotsvertrag blockieren wollen. Foto: ICAN

Von der internationalen Presse weitgehend ignoriert, diskutierten UN-Mitglieder im Mai in Genf juristische Maßnahmen, um Atomwaffen weltweit abzuschaffen. Die Atomwaffenstaaten boykottierten das Treffen. Deutschland und andere Staaten, die mit den USA alliiert sind, übernahmen in der Debatte die Rolle der Befürworter von Atomwaffen und wandten sich gegen ein Atomwaffenverbot. Dennoch kann man sagen, dass der Verbotsvertrag unaufhaltsam auf den Weg gebracht worden ist.

Wie ist es zu diesem Schritt gekommen? Mexiko legte bereits im letzten Jahr bei der UN-Vollversammlung den Vorschlag vor, eine „Open-Ended Working Group (zu dt. Ergebnis-offene Arbeitsgruppe, abgekürzt OEWG) in den Vereinten Nationen in Genf abzuhalten. Die Mehrheit der Staaten stimmte dafür. Da in der UN-Vollversammlung Mehrheitsentscheidungen gelten, im Gegenteil zur ständigen Abrüstungskonferenz oder bei den Konferenzen des Atomwaffensperrvertrags, beschlossen die Staaten, dass die OEWG in drei Sitzungsperioden 2016 abgehalten wird. Das Mandat lautete: Juristische und andere Maßnahmen zu diskutieren, um die multilaterale nukleare Abrüstung voranzutreiben. Die zweite Sitzungsperiode ging am 13. Mai 2016 nach zwei Wochen zu Ende und die IPPNW war dabei.

Zur Eröffnung der OEWG am 2. Mai 2016 veröffentlichten vier internationale Organisationen (IPPNW, Weltärztebund (WMA), Internationale Dachverband für Gesellschaften des öffentlichen Gesundheitswesens (WFPHA) und der Internationale Rat der Pflegeberufe (ICN)) ein Papier mit medizinischen und wissenschaftlichen Fakten zu den Folgen eines Einsatzes von Atomwaffen. Fazit: Angesichts der existentiellen Gefahr, die Atomwaffen darstellen, sei die Ächtung von Atomwaffen die einzige mögliche Handlungsoption. Nichtregierungsorganisationen durften nicht nur an der OEWG teilnehmen, sondern sich auch aktiv an der Diskussion beteiligen. Die IPPNW-ÄrztInnen Tilman Ruff, Ira Helfand, Clara Levin und Ron McCoy waren unter den vortragenden ÄrztInnen, die aus medizinischer Sicht für ein Atomwaffenverbot argumentierten.

Die OEWG ist offen für alle UN-Mitgliedsstaaten. Aber alle neun Staaten, die Atomwaffen besitzen, weigern sich, an der Diskussion teilzunehmen. Staaten, die wie Deutschland vom „nuklearen Schirm“ versammelt sind, nahmen zwar an der OEWG teil, aber sie argumentierten gegen ein Atomwaffenverbot. Sie bezeichneten ein solches als verfrüht und äußerten die Befürchtung, dass ein neuer Vertrag von dem bereits bestehenden Atomwaffensperrvertrag ablenken würde. Deutschland erklärte sogar, die Risiken eines Atomwaffeneinsatzes seien heute nicht höher als zu Zeiten des Kalten Krieges. Das widerspricht allerdings die Ergebnisse drei Fachkonferenzen zum Thema und sogar seine eigene Argumentation. Denn der deutsche Botschafter Michael Biontino sagte, angesichts der derzeitigen Sicherheitslage bräuchte Deutschland den atomaren Schirm zum Schutz vor der russischen Bedrohung.

Während der OEWG sprachen sich 125 Staaten für eine „Schließung der Rechtslücke“ aus, d.h. für eine explizite Ächtung der Atomwaffen wie bei den B- und C-Waffen. Die 54 Staaten der afrikanischen Gruppe machten ein gemeinsames Statement, um den Aufruf für ein Atomwaffenverbot zu unterstützen. Die 33 lateinamerikanischen und karibischen Staaten (CELAC) schlugen vor, Verhandlungen über einen Verbotsvertrag aufzunehmen. Neun Staaten (Argentinien, Brasilien, Costa Rica, Ecuador, Guatemala, Indonesien, Malaysia, die Philippinen und Sambia) machten den Vorschlag, die UN sollten bereits 2017 eine Verhandlungskonferenz für einen Verbotsvertrag abhalten. Fünf pazifische Inselstaaten (Fiji, Nauru, Palau, Samoa und und Tuvalu) erläuterten in ihrem Papier mögliche Elemente eines Verbotsvertrags. Bei den Statements am letzten Tag erhielten alle diesen Vorschläge sehr viel Unterstützung, außer von den Staaten, die von den Atomwaffen abhängig sind (die NATO-Mitglieder, Australien, Japan und Südkorea).

Nun stellt sich die Frage, wie der Botschafter Thani Thongphakdi aus Thailand, der den Konferenzvorsitz inne hat, die Unterstützung für einen Verbotsvertrag im OEWG-Abschlussbericht wiedergeben wird und was er der UN-Vollversammlung empfiehlt. Denn die Teilnehmerstaaten sind gespalten und die verschiedene Meinungen zur Legitimität der Atomwaffen sind unvereinbar. Im August treffen sich die Staaten wieder, um den Abschlussbericht zu verabschieden. Wenn es keinen Konsens gibt, was zu erwarten ist, könnte abgestimmt werden. Dann würde das Mehrheitsvotum zählen und die Atomwaffenstaaten könnten überstimmt werden.

Im Oktober findet die Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York statt. Dann reisen die Staatendelegierte mit klaren Empfehlungen ihrer Regierungen an und werden entsprechende Beschlüsse fassen. Da das Mehrheitsprinzip gilt, ist zu erwarten, dass die Versammlung eine Konferenz zur Verhandlung eines Verbotsvertrag 2017 einberufen wird. Noch offen ist allerdings, ob Deutschland wie die anderen „abhängigen“ Staaten oder gar die Atomwaffenstaaten bei einer solchen Konferenz dabei sind. An dieser Stelle sei noch einmal daran erinnert, dass sich die Parteien im Bundestag bereits im Jahr 2010 parteiübergreifend für das Ziel einer atomwaffenfreien Welt ausgesprochen haben. 93% der deutschen Bevölkerung befürworten nach einer aktuellen Forsa-Umfrage, dass Atomwaffen, völkerrechtlich verboten werden sollen.  Daher wird die IPPNW und ihre Bündnispartner, die Bundesregierung zu Beginn des Verhandlungsprozesses massiv unter Druck setzen, ihrer Verpflichtung aus dem Nichtverbreitungsvertrag-Artikel VI nachzukommen und für ein Atomwaffenverbot zu stimmen.

Xanthe Hall

Diese ist die erste Fassung eines Artikels für IPPNWforum.