Die nackte Wahrheit

Sharon Dolev, Friedensaktivistin und Campaignerin der ICAN Israel

Sharon Dolev, Friedensaktivistin und Campaignerin der ICAN Israel

Inmitten eines hochoffiziell aussehenden Publikums stehen zwei nackte Menschen, ein Transparent mit hebräischer Aufschrift vor sich haltend. Die Kamera schwenkt auf den israelischen Präsidenten Schimon Peres, der sichtlich überrascht an seinem Rednerpult steht, dann wieder zurück ins Publikum, wo gerade einer der Nackten von Sicherheitskräften abgeführt wird. Unsere Runde lacht, während Sharon Dolev, die ICAN-Campaignerin und Friedensaktivistin des Israeli Disarmament Movement [RPM] aus Israel uns erklärt und übersetzt, was wir da gerade über youtube sehen und hören. Wir sitzen im Büro der IALANA bei einem Hintergrundgespräch über „Sicherheit ohne Atomwaffen“, mit Sharon Dolev und Xanthe Hall, Sprecherin der Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“ und IPPNW-Atomwaffenexpertin, zu dem die IPPNW eingeladen hat.

Sharon ist eine kleine Person mit funkelnden Augen, die sich trotz – oder vielleicht auch wegen – der Ernsthaftigkeit und Zähigkeit des Themas einen mitreißenden Humor bewahrt hat. Sie erzählt uns von den besonderen Schwierigkeiten, mit denen die Anti-Atomwaffen-Aktivisten in Israel zu kämpfen haben und von vielen unglaublich kreativen Aktionen, die sie bis heute dort gestartet haben, um das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen.

Das Israel Atomwaffen besitzt ist ein offenes Geheimnis. Dennoch ist das Thema in Israel ein Tabu. Genauso wie alles, was im weitesten Sinne mit nuklearer Technologie zu tun hat.

„Das war Ende 2007“, ergänzt Sharon. „Auf einer Konferenz, die sich ‚die nukleare Herausforderung im Mittleren Osten‘ nannte und auf der es – Panel nach Panel – nur im Iran ging. Wir haben uns überlegt, wie wir die Aufmerksamkeit auf das Thema der israelischen nuklearen Bewaffnung lenken können, ohne dabei zu bedrohlich oder radikal zu wirken.“ Also kam die kleine Gruppe von Anti-Atomwaffen-Aktivisten auf die Idee sich auf der Konferenz nackt auszuziehen, vor sich Transparente auf denen sie auf „die nackte Wahrheit“ hinwiesen.

Sharon erklärt uns, dass es überaus schwierig ist, mit dem Thema überhaupt in die israelischen Medien zu kommen. Denn diese dürfen darüber nicht von sich aus berichten – es sei denn, sie beziehen sich auf „ausländische Quellen“.

„Einer unserer Mitstreiter bei der Aktion stammt aus Argentinien. Nachdem wir aus dem Konferenzgebäude abgeführt worden waren, warteten wir davor, ob Medienvertreter auf uns zukämen. Aber nichts geschah. Dann rief plötzlich seine Mutter aus Argentinien an und fragte: ‚Habe ich dich etwa gerade nackt im Fernsehen gesehen?!’“ Eine ausländische Nachrichtenagentur hatte die Aktion gefilmt und dann ging der Clip innerhalb kürzester Zeit um die Welt. „Danach“, sagt Sharon, „konnten wir uns plötzlich vor Interviewanfragen israelischer Medien nicht mehr retten! Jetzt konnten sie ja sagen ‚ausländischen Quellen nach‘.“ Kaum zu glauben, denke ich.

„Wir sind eine eher kleine Gruppe von Aktivisten. Selbst innerhalb der israelischen Friedensbewegung ist das Thema ein Tabu. Wir sind alle mit der Idee aufgewachsen, dass Israel nur noch existiert, weil wir die Bombe haben. Wer sich gegen atomare Bewaffnung ausspricht, wird schnell in die Ecke ‚anti-israelisch‘ gestellt.“
Aus diesem Grund, berichtet uns Sharon, haben sie sich auch überlegt, wie man das Thema so angehen kann, dass es die Menschen trotzdem erreicht und nicht nur auf Ablehnung stößt. „Es war lange mein Traum ‚Hibakusha‘, also Überlebende der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki nach Israel einzuladen. Dieses Jahr ist es uns endlich gelungen, wir hatten genug Spenden dafür gesammelt.“

Sharon strahlt und zeigt uns Fotos. „Auf diese Art ist es uns gelungen, das Thema Atomwaffen wieder in die Medien zu bringen. Es ging ja nicht um Israels Atomwaffen, sondern um Atomwaffen generell. Und durch den humanitären Aspekt öffnen sich die Menschen dem Thema eher, als wenn man nur (friedens-)politisch argumentiert.“

Gegen Ende des Hintergrundgespräches erzählt Sharon uns noch von ihren aktuellen Anstrengungen. Die für Dezember in Helsinki geplante Konferenz über die Schaffung einer massenvernichtungswaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten ist in Israel so gut wie gar nicht bekannt, berichtet sie. Weder Journalisten noch Abgeordnete wissen davon. „Das war der Grund, warum wir begannen, gegen einen Krieg gegen Iran zu demonstrieren. Wir sind eine sehr kleine Gruppe und unser Kernthema ist nicht Krieg, sondern Atomwaffen. Aber diesmal wollten wir das Thema für uns nutzen, um die Konferenz in Helsinki bekannt zu machen. Wir starten viele Aktionen, die alle unter dem Motto standen ‚Don’t bomb – talk‘. In jeder Pressemitteilung und jeder Aktion findet sich das Wort ‚talk‘. Ein Slogan war z.B. „If all the options are on the table, where is the option of talk?!“. Nach und nach bekamen schließlich immer mehr Nachfragen von Journalisten und Abgeordneten: „Was meint ihr eigentlich immer mit ‚talk‘? Und so versuchen wir Stück für Stück die Konferenz in Helsinki in das öffentliche Bewusstsein zu bringen.“

Bei den abschließenden Fragen möchte ein Journalist von Sharon wissen, wie sie die Chancen sieht, dass Israel sich tatsächlich an der Konferenz beteiligt. Sie schaut kritisch. „In Israel stehen Neuwahlen bevor. Die Regierung hat gerade ‚andere‘ Sorgen – und selbst wenn jemand aus der derzeitigen Regierung teilnehmen sollte, wird er es leicht haben bei allen Entscheidungen zu sagen: ‚Wir können das jetzt nicht entscheiden. Das wird Aufgabe der neuen Regierung sein.‘“ „Aber –“ ergänzt Xanthe Hall, „selbst wenn Israel nicht an der Konferenz teilnimmt, kann sie ein erster Schritt zum Erfolg werden. Wenn wir uns anschauen, wie andere atomwaffenfreien Zonen der Welt zustande gekommen sind, sehen wir, dass auch nicht von Anfang an alle relevanten Länder dabei waren. Zum Beispiel Lateinamerika. Bei den ersten Gesprächen über die atomwaffenfreie Zone dort fehlten Brasilien und Argentinien, die einzigen Länder mit Atomwaffenprogrammen in der Region. Heute ist Lateinamerika atomwaffenfrei.“ Sharon nickt Xanthe zu.

Ich bin beeindruckt davon, mit wie viel Optimismus, Durchhaltevermögen und Humor Sharon und ihre Mitstreiter ihre Arbeit machen. Eine Arbeit, die mit der sie in Israel ein Tabu brechen, durch die sie vielen Anfeindungen ausgesetzt sind und die nicht immer ungefährlich ist. Trotz allem hinterlässt das Gespräch mit Sharon ein Gefühl der Hoffnung und Zuversicht bei mir. Eine Welt ohne Atomwaffen ist möglich, solange wir nicht aufhören uns dafür einzusetzen, egal wie zäh es manchmal scheint.

Samantha Staudte (IPPNW)

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