Als die Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages (NPT) in New York vorbei war, kamen wir nicht mehr aus dem Gebäude. Die verbissenen Security-Leute, die vorher alle Abkürzungen versperrt hatten, waren schon nach Hause gegangen. Auf der anderen Seite des Gebäudes fanden wir schließlich noch eine Tür, die offen war. Die U-Bahn war voller junger Gesichter, die, unterwegs zu Partys, zu ihren Boomboxes sangen. Das Leben geht weiter und nichts hat sich geändert, nur weil ein paar hundert Menschen vier Wochen in klimatisierten Räumen damit zugebracht haben, bis zum Umfallen über Atomwaffen zu diskutieren.
Eine Einigung hat es nicht gegeben. Hunderte von Erklärungen wurden gemacht, in Hauptstädten Richtlinien verabschiedet, Arbeitspapiere und Ausschussberichte entworfen, eingereicht, überarbeitet, abgelehnt. Alles umsonst. Verbitterte Auseinandersetzungen darüber, welchen Stellenwert die humanitären Konsequenzen von Atomwaffen hätten und ob jetzt Abrüstungsschritte oder aber erste Verhandlungen über einen Verbotsvertrag erforderlich seien. Und überhaupt: Was sind “wirksame Maßnahmen”? Sind die Rahmenbedingungen für die Abrüstung hergestellt oder fangen wir erstmal mit einem Verzeichnis gebräuchlicher Begriffe an? Momentan gibt es keine Antwort auf diese Fragen – nicht mal eine Einigung darauf, dass man derzeit uneinig ist. Wenn Sie es sich selbst anschauen wollen, können Sie unter folgendem Link die ersten 38 Minuten der Abschlussitzung verfolgen.
Die zweite Rednerin Rose Gottemoeller, US-amerikanische Untersekretärin für Rüstungskontrolle und internationale Sicherheit hielt eine aggressive und ablehnende Rede, in der sie Ägypten als Sündenbock benannte – und damit war eigentlich alles gelaufen. Das einzige, was die Delegationen noch vereinte, war die Enttäuschung. Alle bedauerten den fehlenden Konsens, sprachen von einem “traurigen Tag für den Atomwaffensperrvertrag” – und schoben die Schuld auf die anderen. Israel als einziger Nicht-Unterzeichner sagte nichts und war dazu auch nicht berechtigt. Und weil dieser eine Staat sich weigerte, einem Termin für eine Konferenz zur massenvernichtungswaffenfreien Zone im Nahen Osten zuzustimmen, scheiterte damit die auch die NPT-Konferenz vollständig.
Trotzdem hat sich auf der NPT-Konferenz etwas bewegt. Der österreichische Botschafter Alexander Kmentt, von der U.S. Arms Control Association zur „Arms Control Person of the Year 2014“ gewählt, machte eine Abschlusserklärung im Namen von 47 Ländern: “Was die Diskussion und das Engagement der Nationen für den NPT betrifft, ließ sich auf dieser Konferenz eine deutliche Verschiebung der Parameter, des Fokus, des Tons und des Kräftegewichts beobachten. Die atomwaffenfreien Staaten besitzen heute die Ermächtigung, ihren Sicherheitsbedürfnissen auf gleichberechtigter Ebene Gehör zu verschaffen.”
Auf der oberen Galerie klapperten die Vertreter/innen der Zivilgesellschaft mit ihren Computern und Handys – sie tweeteten, bloggten und skypten wie verrückt. Eine so fade Abschlusserklärung, die noch hinter den sowieso schon nicht umgesetzten Aktionsplan von 2010 zurückfiel, sollte die Konferenz nicht überleben. Keine Erklärung ist besser als eine, die von den P5 entworfen wurde – den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats. Und wen interessiert es, ob es ein Abschlussdokument gibt, wenn es dann sowieso nicht umgesetzt wird?
Alle fünf Jahre dasselbe Theater. Nur dieses Mal ist etwas anders: 107 Staaten sind inzwischen der Selbstverpflichtung “Humanitarian Pledge” beigetreten, mit der sie sich für die völkerrechtlich Ächtung von Atomwaffen und für die Schließung der Rechtslücke einsetzen, damit ein Verbotsverfahren eingeleitet werden kann. Es muss also ein Rechtsinstrument gefunden werden, um Atomwaffen zu verbieten und abzuschaffen. Für die Vertreter der Zivilgesellschaft ist dies das Ergebnis der diesjährigen Überprüfungskonferenz. Nun müssen die Staaten einen neuen Prozess einleiten – und welches Jahr würde sich dafür besser eignen als dieses, in dem wir den 70. Jahrestag der atomaren Bombardements von Hiroshima und Nagasaki begehen. Oben auf der Galerie klebten wir geradezu in unseren Sitzen. Wir hofften, Südafrika würde den Tag durch die Einladung zu einer Nachfolgekonferenz nach Pretoria retten. Wir warteten vergeblich, obwohl die Rede der südafrikanischen Delegation die beste der Abschlusserklärungen war. Regierungsmühlen mahlen langsam, sogar dann, wenn es darum geht, das eine Mehrheit der Weltregierungen eine “Rechtslücke” schließt. Zur Verwunderung aller hatte der französische Vertreter das letzte Wort. Es sei beschämend, dass gerade Südafrika dem Vergleich des NPT mit einem Apartheidsregime zustimme, bei dem die Minderheit regiere und der Wille weniger durchgesetzt werde. Und wir mussten von ihm noch einmal anhören, Frankreich habe eine hervorragende Abrüstungsbilanz vorzuweisen. Diese Rede war realitätsfern. Man könnte auch von einer kognitiven Dissonanz sprechen – oder von blanker Lüge.
Jetzt, zurück in Berlin, sitze ich mit meinen Nachbarn am Teich in unserem wunderschönen Garten und sie fragen mich, worum es gegangen sei. Ich versuche, das Wesentliche einer vierwöchigen Konferenz von 191 Staaten zu fassen, bei der es kein Ergebnis gab – und sehe, wie mein Gegenüber mich abwesend anschaut. Was ich erlebt habe, scheint unwirklich, obwohl es so real ist wie die Blumen um mich herum. Die rettende Vision sind die Ächtung und die Ergebnisse die wir, die Zivilgesellschaft, in den letzten vier Wochen erkämpft haben – auch wenn sich die Medien nur auf Israel und die Erpressbarkeit der internationalen Staatengemeinschaft konzentrieren.
In der Abschlusserklärung von Costa Rica heißt es: Die humanitären Konferenzen zu den Konsequenzen von Atomwaffen zeigen, dass sich der Abrüstungsprozess demokratisiert, auch wenn es beim NPT noch an Demokratie mangelt.” Der NPT wird uns nicht retten, wir brauchen ein neues demokratisches Verfahren, um einen Verbotsvertrag einzuleiten.
Costa Rica beendete seine Stellungnahme mit folgenden Worten, die wir uns zu Herzen nehmen sollten: “Trotz allem, was auf der NPT-Überprüfungskonferenz passiert ist, kann nichts diejenigen aufhalten, die an menschliche Sicherheit, Demokatie und internationales Recht glauben. Die Geschichte ehrt nur die Tapferen, die den Mut haben, anders zu denken und von einer besseren Zukunft für alle zu träumen. Es ist nicht die Zeit, das Geschehene beklagen, so beklagenswert es ist. Es ist an der Zeit, uns für die Zukunft einzusetzen, die Welt die wir uns wünschen und die wir verdient haben. Geben wir dem Frieden eine Chance – eindeutig und endgültig.”
Xanthe Hall ist Anti-Atomwaffen-Campaignerin und arbeitet in der IPPNW-Geschäftsstelle.
Nach langem Verschieben der Verantwort auf Süchtige jetzt ein Hoffnungsstreifen. Die Übernahme der Verantwortung auf die Mehrheit der Staaten.
Dies sollte auch bei anderen Problemen wie den ständigen Verletzungen des Völkerrechts geschehen.
Da sollten wir über moralische und reale Sanktionen nachdenken.