Griechenland krank gespart – Berichte von widerständiger Praxis und Solidarität

Dr. Katja Goebbels, Mitglied im IPPNW-Vorstand

Dr. Katja Goebbels ist Ärztin und seit 2013 Mitglied des IPPNW-Vorstandes

Griechenland krank gespart – Berichte von widerständiger Praxis und Solidarität“, so lautete der Titel Veranstaltung letzte Woche in Berlin. Eingeladen waren die griechischen Ärzte Theodoros Zdoukos und Vasilis Tsapas, beides Aktivisten der „Klinik der Solidarität“ in Thessaloniki sowie Christos Giovanopoulos vom Netzwerk „Solidarity for All“.

Rund 70 Teilnehmer waren gekommen, um die Podiumsdiskussion zu verfolgen. Nach einer Einleitung durch Kirsten Schubert von medico stellten die Ärzte aus der Solidaritäts-Klinik ihre Arbeit vor und erläuterten ihre politischen Hintergründe. Insgesamt gäbe es Privatisierungen im Gesundheitssektor bereits seit den 90ern und durch eine hohe Korruption sei das System auch vor der Krise nicht allen gleich zugänglich gewesen. Durch die Sparmaßnahmen habe sich nun aber alles drastisch verschlechtert, nur noch Reiche bekämen eine adäquate Versorgung, viele Arbeitslose, Migranten und Selbstständige seien völlig von der Grundversorgung abgeschnitten. Daher kam die Idee zur Gründung der Solidaritäts-Klinik in Thessaloniki. Insgesamt rund 200 freiwillige Gesundheitsarbeiter von 9 fachärztlichen Richtungen kooperieren mit Praxen und Kliniken in der Umgebung und konnten so im letzten Jahr ca. 4500 Patienten kostenfrei versorgen. Davon waren ca. 70% im erwerbsfähigen Alter und 20% Kinder und insgesamt ca. 40% Migranten. Das Zentrum ist horizontal organisiert und finanziert sich durch in- und ausländische Spenden von Vereinen und Gewerkschaften. Die Initiatoren sehen das Projekt als ein zutiefst politisches und wollen ihre Ideen an die Patienten weitergeben. Sie sehen sich mit den Patienten auf Augenhöhe und lehnen Wohltätigkeit ab. Gleichzeitig sehen sie es als Aufgabe des Staates an, die Grundversorgung zu sichern und wollen sich sobald wie möglich wieder abschaffen.

Der Sprecher des Solidaritäts-Netzwerks betonte, dass sich durch die Krise viele Bürger solidarisch organisieren, nicht nur im Gesundheitsbereich. So wurden z.B. Kartoffeln, die die Zwischenhändler nicht mehr kaufen wollten, durch Bürgerinitiativen deutlich günstiger und trotzdem für die Erzeuger gewinnbringend weiterverkauft. Und gerade Nahrungsmittel und Gesundheitssystem seien die wichtigsten Bereiche, in denen es Bürgerengagement brauche. Diese verschiedenen Gruppen zu vernetzen und damit ihre Macht auf der Straße zu vergrößern, ist erklärtes Ziel des Netzwerks.

Nachdem die Podiumsteilnehmer gesprochen hatten, kam eine rege Diskussion in Gang. Die politischen Ziele der Gruppen wurden hinterfragt und zeigte sich in den Antworten – meiner Meinung nach – wenig Bereitschaft zum politischen Dialog. Als Lösung wurden wiederholt Widerstand und Radikalisierung genannt. Die Frage, ob die Kliniken selbst schon Ziele von Rechtsradikalen geworden seien, konnte glücklicherweise verneint werden, dennoch sprachen alle Griechen, auch aus dem Publikum, von einem Erstarken der rechtsradikalen Szene.

Insgesamt war es ein sehr spannender und für mich lehrreicher Abend, auch wenn ich mit etwas gemischten Gefühlen nach Hause gegangen bin. Mir schien es, als würde die Krise auf allen Seiten zur Radikalisierung in Griechenland führen, was irgendwann auch in Gewalt münden könnte. So hat die Klinik auch Patienten wegen ihrer politischen Gesinnung abgelehnt und versucht, ihre Patienten von ihren politischen Ideen zu überzeugen, was meiner Meinung nach überhaupt nicht geschehen dürfte. Eine Solidaritätsleistung auf Augenhöhe, wie von den Aktiven betont, sollte nicht eine Gegenleistung in Form von politischer Zustimmung einfordern. Dennoch bin ich überzeugt, dass sie sehr gute und dringend benötigte Arbeit leisten.

Zum Hintergrund:

Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise und den eingeleiteten Sparmaßnahmen ist in Griechenland das öffentliche Gesundheitssystem besonders betroffen. Im gesamten öffentlichen Sektor sollen zwischen 2011-2015 150 000 Stellen gestrichen werden und der Mindestlohn wurde um 20% gesenkt. Von der Troika wird verlangt, dass die Ausgaben für das Gesundheitssystem 6% des BIP nicht übersteigen.

Leistungen im Gesundheitssystem, die vorher allen zugänglich waren, wurden begrenzt oder gestrichen. Geschätzte 2000 Krankenhausbetten wurden gestrichen, Ärztegehälter gekürzt oder Stellen gestrichen, Dienstleistungen in den Krankenhäusern privatisiert, etc.

Dazu kommt, dass durch den Anstieg der Arbeitslosigkeit auf mittlerweile 27,2% im 1. Quartal 2013 (zwischen 7 und 8% im Jahr 2008, aktuelle Quote in Deutschland: 5,4%) viele Bürger ihre Krankenversicherung verloren. Dass Arbeitslose einen schlechteren gesundheitlichen Status haben und besonders für psychische Erkrankungen anfälliger sind, ist inzwischen wissenschaftlich belegt.

Aber auch Migranten mit und ohne geregeltem Aufenthaltsstatus oder zuvor Selbstständige sind nicht (mehr) krankenversichert. Für diese Personen sind die Kosten z.B. für Dauermedikamente nicht mehr erschwinglich.

Als konkrete gesundheitliche Folgen zeigt sich ein (erwarteter) Anstieg an Suiziden sowie ein Rückgang an Verkehrsopfern sowie ein (unerwarteter) Anstieg an HIV-Neuinfektionen durch Drogenabhängigkeit.

Quellen:
http://epp.eurostat.ec.europa.eu/tgm/table.do?tab=table&language=de&pcode=teilm020&tableSelection=1&plugin=1

Karanikolos M et al; Financial crisis, austerity, and health in Europe; The Lancet 2013; Published Online, March 27, 2013; http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(13)60102-6

Economou C. The performance of the Greek healthcare system and the economic adjustment programme: “economic crisis” versus “system-specific deficits” driven reform. Int J Soc Political Theory 2012; 2: 33–68.

2 Gedanken zu „Griechenland krank gespart – Berichte von widerständiger Praxis und Solidarität

  1. interessanter Artikel, danke! es ist schwierig sich von aussen ein Bild zu machen.
    da es ein europaeisches Thema ist, sollte es am Besten auch au fEnglisch uerbersetzt sein!

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