Die Corona-Krise zeigt auf drastische Weise, dass die medizinische Versorgung und das Gesundheitssystem weltweit in einem katastrophalen Zustand sind. Wir schreiben das 21. Jahrhundert und dennoch können nicht einmal in den hochentwickelten Ländern Westeuropas, in den USA oder in Japan ausreichende Maßnahmen gegen die Infektionskrankheit ergriffen werden.
In Japan wurde seit Jahrzehnten ein Krankenhaus nach dem anderen geschlossen, zusammengelegt und/oder privatisiert: Das alles hat eine miserable Lage der gegenwärtigen medizinischen Versorgung in Japan herbeigeführt.
Das Gleiche gilt auch für viele weitere wichtige Bereiche wie die soziale Sicherheit oder den Katastrophenschutz. So sind in Japan in den letzten Jahren erneut sehr viele Menschen bei Naturkatastrophen wie Taifunen, Überschwemmungen oder Erdrutschen gestorben. Ein Problem, das eigentlich im Laufe der Nachkriegszeit durch einen guten Katastrophenschutz größtenteils überwunden wurde.
Dafür gibt es sicherlich nicht nur eine Ursache: Auch der Klimawandel, der inzwischen die Natur und die Menschheit weltweit ernsthaft bedroht, trägt dazu bei. Aber zum anderen auch die immer stärkere Vernachlässigung des Katastrophenschutzes – also drastische Kürzung der öffentlichen Mittel und massiver Personalabbau in diesem lebenswichtigen Bereich.
Kurzum: Unter dem Neoliberalismus und seinem Prinzip „Profit über Menschenleben“ erfahren unsere Gesellschaften weltweit immer mehr ernsthafte Rückschritte. Jetzt ist es höchste Zeit, einen profunden Richtungswechsel herbeizuführen.
Die „Tokio Olympiade“
Die in Japan 2020 geplante Olympiade ist wegen der Corona-Krise um ein Jahr verschoben worden. Aber es ist fraglich, ob die Krise im nächsten Jahr schon vorbei sein wird: Ich bin in diesem Gebiet völliger Laie, aber ich habe das Gefühl, dass diese Krise mindestens für anderthalb bis zwei Jahre andauern wird, wie die sogenannte Spanische Grippe 1918-1919.
Außerdem gibt es bei den Olympischen Spielen in Tokio – wie die IPPNW Deutschland in der Kampagne „Tokyo 2020: The Radioactive Olympics“ bekräftigt – von vornherein eine weitere ernste Problematik. Der Super-GAU von Fukushima-Daiichi am 11. März 2011 hat in der Region Radioaktivität in großen Mengen freigesetzt und die Luft, die Erde und das Meer nachhaltig kontaminiert.
Doch der Super-GAU gehört nicht der Vergangenheit an, sondern bedroht uns immer noch. Es gibt in der Präfektur Fukushima noch viele Orte, an denen die Radioaktivität ungewöhnlich hoch ist. Dekontaminierungsarbeiten wurden zwar durchgeführt, jedoch sind deren Effekte nur begrenzt. Die hoch verstrahlten Berge und Wälder kann man sowieso nicht dekontaminieren. Überdies kann es auch zu einer Rekritikalität kommen, die verhindert werden muss. Kurz gesagt: Die Lage ist immer noch sehr, sehr schlimm.
Ins Gebäude von Fukushima-Daiichi, das wegen des Erdbebens am 11. März 2011 viele Risse hat, dringt jeden Tag Grundwasser ein. Zudem wird täglich viel Wasser genutzt, um die havarierten Reaktoren zu kühlen. Das verseuchte Abwasser wird dann zuerst durch die Beseitigungsanlage entsorgt. Aber hoch radioaktives Tritium bleibt enthalten und auch andere radioaktive Materialien wie Strontium können dadurch nicht ganz beseitigt werden. Dann wird dieses Abwasser in Tanks auf dem Gelände von Fukushima-Daiichi aufbewahrt. Da dies keine dauerhafte Lösung ist, hat die japanische Regierung nun die Absicht, das verseuchte Abwasser demnächst ins Meer zu leiten. Das ist höchst gefährlich und verbrecherisch: Es wird das Meer radioaktiv verseuchen, die Meeresökosysteme und letzten Endes die Menschheit stark beeinflussen. Um dies zu verhindern, setzt sich die Fischereigenossenschaft der Präfektur Fukushima konsequent und hartnäckig gegen das Vorhaben ein.
Dennoch: Die japanische Regierung sieht dieser kritischen Gesamtlage nicht ins Gesicht. Unglaublicher Weise macht sie das Gegenteil! Der Weltöffentlichkeit wird eine Normalität in den verstrahlten Gebieten vorgespielt! Die „Tokio Olympiade“ und der Fackellauf sowie die Wettkämpfe in Fukushima werden als Werkzeug benutzt, um von der bestehenden radioaktiven Bedrohung abzulenken. Das ist beispiellos!
Deshalb sagen wir NEIN zu den olympischen und paralympischen Spielen in Tokio und am Austragungsort Fukushima, selbst im Jahr 2021 oder 2022. Wegen der Verschiebung haben wir nun Zeit gewonnen, um unsere internationale Kampagne gegen diese Olympischen Spiele auszuweiten und zu verstärken.
Ich hoffe, dass wir im Jahr 2021 (35 Jahre nach „Tschernobyl“ und 10 Jahre nach „Fukushima-Daiichi“) zusammen eine starke und einflussreiche internationale Kampagne gestalten können.
Nobuo Manabe (Internationales Arbeiter-Solidaritätskomitee Doro-Chiba)