Seit etwa 500 Jahren hat der Mensch die Erde massiv umgestaltet – in immer schnellerem Tempo, in immer größerem Ausmaß und mit immer schwerer wiegenden Folgen. Man hat dieses Geschehen auch „Globalisierung“ genannt – es beruht im Kern darauf, dass einige wenige sich gute Lebensbedingungen sichern, die nur deshalb zustande kommen, weil eine wachsende Zahl anderer Menschen in Not und Elend leben müssen. Dies gilt auch für die Ökologie: Der Zugang zu sauberen Wasser und zu sanitären Anlagen ist für die meisten von uns in Deutschland selbstverständlich – für die meisten anderen im Rest der Welt aber gerade nicht. Diese Menschen werden auch von den Folgen des Klimawandels besonders hart getroffen. Diese „imperiale Lebensweise“, zu deren Konsequenzen auch die Klimakatastrophe gehört, ist auf Dauer nicht hinnehmbar.
Das erste, was wir stets beherzigen müssen, ist das folgende, oft verdrängte Faktum: Der Klimawandel ist kein Menetekel an der Wand, keine drohende Katastrophe – er steht uns nicht bevor, er ist bereits in vollem Gange. Beispiele dafür sind etwa in Deutschland überwinternde Zugvögel – von der stark gewachsenen Population der Isnyer Störche bleiben etliche Tiere des Winters im Lande. Auch bei den Fischen gibt es Veränderungen: Sowohl die Zahl und wie die Größe der Renken im Starnberger See und der Felchen im Bodensee vermindern sich. In der Landwirtschaft gibt es Probleme zum Beispiel beim Kartoffelanbau – ist es zu warm, bildet die Pflanze keine Knollen. Dass die Zone des Maisanbaus immer weiter nach Norden wandert, ist allenthalben zu sehen; Schuld an der gewaltigen Expansion dieser Maisanbauflächen ist natürlich auch der Boom mit dem fälschlich „Biosprit“ genannten Agrartreibstoff. In den Alpen rücken Baumgrenze und Vegetationszonen immer weiter nach oben, und da die Höhe der deutschen Berge eher begrenzt ist, wird das Aussterben einiger Pflanzen (zum Beispiel des Moos-Steinbrech) die Folge sein.
Auch an Niedrigwasser in Seen und Flüssen werden wir uns gewöhnen müssen, wie ich unlängst bei einer Eisenbahnfahrt den Rhein entlang anschaulich registrieren konnte… Es war eben 2018 und 2019 nicht nur sehr heiß, sondern auch sehr trocken, und an die Folgen werden wir uns gewöhnen müssen. Kürzlich wurde gemeldet, dass der Oktober 2019 der wärmste Oktober seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gewesen ist (auch der Juni und der Juli hatten bereits diesen Rekord gebrochen!).
All das schadet nicht nur Pflanzen und Tieren, sondern wirft auch für uns Menschen gesundheitliche Probleme auf: 2019 wurde, wie bekannt, in Deutschland die höchste je gemessene Temperatur registriert (42,6 Grad in Lingen/Emsland!). Laut „Deutsches Ärzteblatt“ steigen bei Tagen über 30 Grad die Sterbequote um 10, die Krankenhauseinweisungen um 5 Prozent. Eine Studie der Universität Zürich hat unlängst für die europäischen Metropolen Temperaturzunahmen von durchschnittlich + 3,5 Grad im Sommer und + 4,7 Grad im Winter prognostiziert. In London wird also, ob Brexit oder nicht, in Bälde ein Klima herrschen wie heutigen Tages in Madrid. Für Städte, in denen es auch schon gegenwärtig oft recht schwül ist, wie hier in Freiburg, sind große Probleme nicht schwer vorherzusagen. Freilich dürfen wir über unseren europäischen Problemen nicht vergessen, wie schlimm es andernorts aussieht, gegenwärtig zum Beispiel in Dehli. Indische Mediziner rechnen ob der erheblichen Luftverschmutzung mit einer Million vorzeitiger Todesfälle – pro Kalenderjahr, versteht sich.
Dennoch glauben viele Menschen – und auch darauf sollten wir wohl noch mehr achten als bisher – , die bereits allenthalben spürbaren Folgen des Klimawandels mit eben jenen Methoden bekämpfen zu können, die ihn herbeigeführt haben. Meine Heimatstadt Isny etwa galt früher als Wintersportort, in dem vor allem Skilanglauf vielfach geübt worden ist. Damit ist es nun vorbei – doch was tut der Gemeinderat? Er beschließt die Installation von Beschneiungsanlagen, auch Schneekanonen genannt. Beiläufig bemerkt: Auch mit den Stimmen der „Grünen“. Über die Maßnahmen in anderen Wintersportorten war ja soeben Einiges in der Zeitung zu lesen, sie werden damit begründet, dass sich die Dauer der jährlichen Schneedecke auf 2.000 m Höhe über NN. bis zum Jahr 2050 um sechs bis neun Wochen verkürzen wird. „Es gibt eine Aufrüstungsspirale in den Skigebieten“, so nannte es treffend Tobias Hipp vom DAV am Mittwoch der „Süddeutschen Zeitung“. „Aufrüstung“ – weil wir von unserem Krieg gegen Natur und Mitwelt augenscheinlich nicht lassen können und wollen.
Dieser hier in einigen seiner Erscheinungsformen nur sehr kurz skizzierte Klimawandel ist in erster Linie Folge unserer „imperialen“, Mitwelt und Mitmenschen ausbeutenden Lebensweise. Die sei mit zwei Zahlen verdeutlicht!
ERSTENS: 13 Millionen Ferkel werden in Deutschland jährlich getötet, noch bevor sie die Schlachtreife erreichen (ursächlich dafür sind die katastrophalen Verhältnisse in der Massentierhaltung!). Und ZWEITENS: 6,1 Millionen Tonnen Plastikmüll fallen jährlich in Deutschland an (damit sind wir, trotz unseres gerne gepflegten „Saubermann-Images, Spitzenreiter in Europa!) – und davon wird rund die Hälfte nach Asien exportiert, womit sie für die amtliche Statistik dann allen Ernstes als „recycelt“ gilt…
Das „Erfolgsgeheimnis“ diese unserer imperialen Lebensweise lässt sich pointiert so zusammenfassen: Uns geht es relativ gut, weil es sehr vielen anderswo auf dieser Erde richtig schlecht geht! Das gilt auch für die Folgen des Klimawandels, die zu bewältigen in einem reichen Land wie dem unseren natürlich sehr viel leichter fällt als in den verarmten Regionen der Südhalbkugel.
Man stelle sich für unsere derzeitigen, äußerst luxuriösen Lebensverhältnisse etwa das folgende Szenario vor: Morgen kommt hier in Freiburg, wenn wir den Hahn aufdrehen, kein Wasser mehr aus der Leitung. Stattdessen fahren jetzt Lautsprecherwagen durch die Straßen. Sie verkünden das folgende: Das Wasser wird künftig per Tankwagen angeliefert – es erfolgt eine Wasserrationierung auf 100 Liter /Woche!
Unvorstellbar? Traurige Realität zum Beispiel in Chile, wo der Aktivist Rodrigo Mundaca (geb. 1961) gegen solche Verhältnisse kämpft und deswegen schon etliche Male vor Gericht gestanden ist – 2018 hat er für sein Engagement den in diesem Jahr verliehenen Friedens- und Menschenrechtspreis der Stadt Nürnberg erhalten. In einigen der vielen Fälle, die so verlaufen sind wie oben geschildert, war der Grund für die Rationierung des Wasser übrigens der, dass dieses für die Bewässerung der für den Export angelegten großflächigen Avocado-Kulturen benötigt worden ist.
Hierzu ist zweierlei noch anzumerken: Erstens gehört laut Beschluss der UN-Vollversammlung vom 28. Juli 2010 der Zugang zu hygienisch einwandfreien Trinkwasser heute in den Katalog jener Menschenrechte, die die UN als „Menschenrechtscharta“ am 10. Dezember 1948 verabschiedet hat. Aber was nützt ein solches „Menschenrecht auf Wasser“, wenn es keine Möglichkeit gibt, dieses Recht dann auch lebenspraktisch und alltagstauglich durchzusetzen – so etwa, wie bereits berichtet, in Chile, wo die Trinkwasserversorgung sehr weitgehend privatisiert ist.
Zweitens: Jeder Mensch in unserem privilegierten Deutschland verbraucht derzeit pro Tag im Durchschnitt 3.400 Kilokalorien an Nahrungsmitteln. Darin verstecken sich aber auch etwa 3.600 Liter Wasser, die bei der Erzeugung eben jener Nahrungsmittel verbraucht werden – und dann natürlich andernorts fehlen, zum Beispiel bei der Trinkwasserversorgung der einheimischen Bevölkerung. Zu unserer imperialen Lebensweise gehört also auch, dass wir viel zuviel WASSER ESSEN!
Auch die Verwendung von Wasser unterliegt mithin, im Rahmen unserer imperialen Lebensweise, der Globalisierung – zu unserem Nutzen, aber zum Nachteil vieler anderer. Erst kürzlich wurde bekannt, dass eine Firma aus Baden-Württemberg (ACISA aus Zimmern ob Rottweil) geplant hatte, aus dem größten Salzsee der Welt, dem Salar de Uyuni im Hochland Boliviens, jährlich 40.000 Tonnen Lithium abbauen wollte, zum Zwecke der Batterieproduktion hier in unserem Land; durch die instabile politische Lage in Bolivien ist dieses Geschäft allerdings vorerst ins Stocken geraten…
Der Begriff „Globalisierung“ fand erst vor einem Vierteljahrhundert, in den 1990er Jahren, Eingang in die Wissenschafts- und Alltagssprache. Seither ist er aber in aller Munde. Nach dem Historiker Mark Häberlein, der die Rolle deutscher Handelshäuser wie der Fugger und Welser in der frühen Globalisierung untersucht hat, beschreibt dieser Terminus „die zunehmende Internationalisierung des Handels, der Kapital- sowie der Produkt- und Dienstleistungsmärkte und die internationale Verflechtung der Volkswirtschaften. Der Globalisierungsprozess der Märkte wird v. a. durch neue Technologien im Kommunikations-, Informations- und Transportwesen sowie neue Organisationsformen der betrieblichen Produktionsprozesse vorangetrieben. (…) Hauptakteure der Globalisierung sind multinationale Unternehmen, die mit ihren Investitions-, Produktions- und Produktstrategien zunehmen Charakter und Formen des internationalen Handels und der Investitionen bestimmen.“
So weit die Begriffsbestimmung. Was die Geschichte dieser Globalisierung betrifft, so unterscheiden die Historiker
a) eine sogenannte „dünne Globalisierung“, wie sie für das Mittelalter charakteristisch gewesen ist – schon damals gab es ja durchaus internationalen Warenaustausch: denken wir an die Hanse im Norden mit ihrer Partnerstadt Nowgorod und ihren Faktoreien in Brügge und London; denken wir an die Kaufmannsrepubliken in Venedig und Genua. Aber wenn wir uns vor Augen halten, dass der gesamte europäische Warenimport aus Übersee in einem ganzen Jahr wohl nur knapp eines jener großen Containerschiffe gefüllt hätte, von denen heute jeden Tag Dutzende die Häfen dieser Welt ansteuern: Dann bekommen wir vielleicht eine bildliche Vorstellung davon, was sich in jenen 500 Jahren verändert hat!
b) Dem Mittelalter schließt sich eine Phase der „expansiven Globalisierung“ in der frühen Neuzeit an, bis dann die Welt mit dem Industriezeitalter im 19. und 20. Jahrhundert in die Phase der „dichten Globalisierung“ eingetreten ist.
Diese sich Schritt für Schritt entwickelnde Globalisierung hat das Fundament für das gelegt, was wir heute als „imperiale Lebensweise“ bezeichnen. Ein dabei häufig übersehener Aspekt: Schon immer und in allen seinen Phasen war der globale Austausch von positiven und negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit begleitet. Während jener „dünnen Globalisierung“ des Mittelalters brachten genuesische Galeeren den Pesterreger von der Halbinsel Krim nach Messina auf Sizilien, von wo er sich über ganz Europa ausbreitete und dort – mit starken regionalen Unterschieden – etwa die Hälfte der Bevölkerung tötete. So geschehen anno 1347.
Rund 200 Jahre später, 1519, propagierte der damals recht bekannte Humanist Ulrich von Hutten (1488 – 1523) zur Heilung einer neuen Krankheit, an der er selber litt, der Syphilis, das aus Südamerika importierte Guajakholz (Guaiacum officinale). Wir befinden uns zur Zeit von Huttens Veröffentlichung bereits in der Phase der „expansiven Globalisierung“, in der auch der Handel mit Gewürzen und Arzneien rasant wuchs – man bedenke, dass damals das heutige Venezuela rund ein Vierteljahrhundert (1528 – 1556) vom international agierenden Konzern der Welser-Familie regiert wurde, in deren Diensten auch Huttens Vetter Philipp von Hutten (1546 ermordet) gestanden hat. In der „dichten Globalisierung“ des Industriezeitalters schließlich importierten britische Segelschiffe (die sogenannten Teeklipper) aus dem Golf von Bengalen eine völlig neue, hierzulande bis dahin unbekannte Seuche nach Europa, die Cholera, der in Preußen der Philosoph Georg Friedrich Wilhelm Hegel (am 14. November 1831) und in Paris der Ministerpräsident Casimir Périer (am 16. Mai 1832) neben Zigtausenden anderen zum Opfer fielen. Mittlerweile hat sich die Cholera über den ganzen Erdball hinweg ausgebreitet – ebenso wie das HI- (Humane Immundefizienz) Virus, dessen Auftreten erstmals 1981 in den USA bei fünf Fällen von „atypischer Lungenentzündung“ registriert worden ist. Bis dann bei uns durch infolge der Klimaveränderung heimisch gewordene Tiere (etwa Mücken oder Zecken) auch Krankheiten wie Gelbfieber und Dengue-Fieber übertragen werden, dürfte nur eine Frage der Zeit sein. Wir sollten uns auch erinnern, dass die Malaria einst am Oberrhein heimisch gewesen ist – vielleicht ist es schon in Bälde wieder so weit…
Zu den wichtigsten Begleiterscheinungen der Globalisierung gehört die Migration – ein Phänomen, auf das die wohlhabende Welt der Nord- und auch der Südhalbkugel mit dem recht hilflosen Versuch der Einhegung des eigenen Wohlstandes reagiert. Abschottung ist die Devise der Stunde, und gegenwärtig vergeht kein Tag, an dem nicht irgendwelche Politiker in gebetsmühlenartiger Wiederholung fordern, der Schutz der EU-Außengrenzen müsse verbessert werden. Also hat man Mauern gebaut und Zäune errichtet und ist stolz, wenn man einen Migrationsweg wie die berüchtigte „Balkanroute“ unterbunden hat – was die ebenfalls vielzitierte „Bekämpfung der Fluchtursachen vor Ort“ betrifft, ist allerdings so gut wie gar nicht geschehen, insbesondere nicht hinsichtlich möglicher Veränderungen an der durch und durch ungerechten Weltwirtschaftsordnung. „Die Ungleichheit in der Weltwirtschaft ist eine der größten Herausforderungen der modernen Zeit“, sagte der damalige US-Präsident Barack Obama in einer Grundsatzrede auf seiner letzten Europareise (in Athen, am 16. November 2016) – schade allerdings, dass solche treffenden Einsichten von den politisch Verantwortlichen allzu oft erst gegen Ende ihrer Amtszeit offen ausgesprochen werden: Wenn es nämlich nicht mehr ihre eigene Aufgabe, sondern die der anderen ist, aus einer solchen Erkenntnis die nötigen Konsequenzen zu ziehen…
Dabei steht uns die große weltweite Wanderung vermutlich erst noch bevor – die Weltgesellschaft wird kommen, es fragt sich nur, ob dies unter schmerzhaften Kämpfen geschieht, ganz im Sinne der bekannten Prophezeihung des früh verstorbenen algerischen Muslims und Staatspräsidenten Houari Boumedienne (1927 – 1978), wenn die hartherzigen Reichen im Norden nicht mit anderen teilen wollten, würden die Habenichtse aus dem Süden eben zu ihnen kommen und ihr Land besetzen – oder ob dieser weltumgestaltende Prozess doch noch in konstruktive Bahnen gelenkt werden kann.
In jedem Fall aber ist die globale ökologische Krise der derzeit wichtigste Aspekt der Globalisierung, und zugleich jener, der die Gesundheit von Millionen Menschen am heftigsten bedroht.
Dr. Till Bastian ist IPPNW-Mitglied und Autor der Studie „Naturzerstörung: Die Quelle der künftigen Kriege“ (1990), in der er bereits mit Nachdruck auf die Folgen des Klimawandels hingewiesen hat. Den Vortrag hielt er am 26. Oktober 2019 in Landsberg am Lech und am 8. November 2019 in Freiburg.