Frau Sladek, Sie und Ihr Mann Michael Sladek haben 1994 die Elektrizitätswerke Schönau gegründet und wurden in der Presse als “Stromrebellen” bezeichnet. Sehen Sie sich selbst auch als Rebellin?
Die Bezeichnung Stromrebellen wurde uns – ich sage mal liebevoll – von den Medien verliehen. Mit Rebell wird im Deutschen im Allgemeinen jemand bezeichnet, der sich gegen die Obrigkeit auflehnt, nicht einfach alles hinnehmen will, sich gegen Ungerechtes und Unsinniges wehrt. Ja, in diesem Sinne sehen wir uns gern als Rebellen und handeln danach – dafür gibt es Beispiele in unserer Historie aber auch in der Gegenwart. Die Übernahme des Stromnetzes und der Stromversorgung in Schönau war nur mit diesem „rebellischen Geist“ möglich, sieben Jahre Kampf und zwei Bürgerentscheide hat es gebraucht, bis die Schönauer Bürger sich gegen die Übermacht des großen Energieversorgers und die lokalen Widerstände durchsetzen konnten. Auch die Belegung unserer evangelischen Kirche in Schönau 1998 mit einer großen Photovoltaik-Anlage den „Schönauer Schöpfungsfenstern“ war nur mit einer „Solarrevolution“ möglich. Das Denkmalamt hatte eine PV-Anlage auf der Kirche untersagt, doch der Ältestenrat der Kirche und die Schönauer Bürger wollten das nicht hinnehmen und errichteten die Anlage zunächst ohne Genehmigung, die daraufhin jedoch von der obersten Denkmalbehörde nachträglich erteilt wurde. Heute kämpfen wir für das in der Verfassung verbriefte Recht der Kommunen, die Energieversorgung in eigener Regie zu betreiben, was durch das kartellrechtliche Regime konsequent verhindert wird.
Mit „Rebellion“ gegen die Ohnmächtigkeit ankämpfen heißt, von der Ohnmacht in die Macht zu kommen, in die Macht, selbst etwas zu ändern, auch wenn es schwierig und kaum realisierbar ist. Und dann Erfolg zu haben – das gibt einen Motivationsschub für weitere Aktivitäten und weitet dabei auch den Kreis der Engagierten aus. Genau das haben wir immer wieder erlebt.
Wie viele Stromkunden haben Sie seit Bestehen der Elektrizitätswerke gewinnen können?
Wir hatten zum Jahresende 2015 rund 161 000 Stromkunden und ca. 11.000 Gaskunden in der Versorgung. Seit dem Jahr 2015 liefern wir ja auch bundesweit Gas und ökologisch hochwertiges Biogas aus biogenen Abfällen – und damit ganz ohne Landschaftsverbrauch oder Massentierhaltung. Die meisten unserer Strom- und Gasbezieher sind Haushaltskunden, wir beliefern aber auch öffentliche Einrichtungen, Gewerbe und Industrie atomstromlos und klimafreundlich, darunter auch sehr große Unternehmen. Unsere Strom- und Gasabnehmer fühlen sich in Mehrheit nicht einfach nur als Kunden, sondern als Mitstreiter für die Umsetzung der Energiewende und schätzen daher auch unser umweltpolitisches Engagement.
Wie bewerten Sie die Politik der großen Koalition im Hinblick auf die Energiewende?
Da muss ich ganz deutlich sagen: Ziemlich miserabel. Schwarz-Rot bekennt sich zur Energiewende, nennt sie eines der zentralen Vorhaben der Bundesregierung. Doch konsequente Taten folgen diesen Bekenntnissen nicht.
Ein paar Beispiele, zunächst Strom: Die Bundesregierung hat eifrig mit in das allgemeine Klagen eingestimmt, dass die Erneuerbaren Energien die Strompreise unerträglich in die Höhe treiben würden und diese „Erkenntnis“ als Grundlage für die Änderungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz 2014 genommen. Doch wer genauer hinsieht, stellt fest, dass die Erneuerbaren Energien nicht der wesentliche Strompreistreiber sind. Nicht einmal die Hälfte der EEG-Umlage von aktuell 6,354 Cent pro Kilowattstunde – also der Umlage, die der Stromkunde mit seiner Stromrechnung für die Erneuerbaren Energien bezahlen muss – kommt tatsächlich dem Ausbau der Erneuerbaren Energien zugute. Der größere Teil – weit über 50 Prozent – entfällt auf sogenannte „sonstige Kosten“, wie unter anderem die weitgehende Befreiung der Großindustrie von der EEG-Umlage und der Konstruktionsfehler im EEG-Vermarktungsmechanismus. Somit stehen die eigentliche Förderung der Erneuerbaren Energien und der Zuwachs bei der EEG-Umlage in einem Missverhältnis. Doch statt die Befreiung der Großindustrie zu beenden und endlich ein neues Marktdesign zu schaffen, das den geänderten Rahmenbedingungen durch die Energiewende entspricht, hat die Regierung Änderungen im ErneuerbareEnergien-Gesetz 2014 vorgenommen, die unter der Überschrift „atmender Deckel“, „verpflichtende Direktvermarktung“, „Ausschreibung für Erneuerbare Energien“ die Energiewende ausbremsen und deren Akzeptanz gefährden. Obwohl die Energiewende bisher zum Großteil von den Bürgern getragen wurde – jede zweite Kilowattstunde Strom aus Erneuerbaren Energien wurde von Bürgern finanziert – werden mit diesen Änderungen nur noch die Interessen der großen Akteure im Strommarkt bedient. Wir brauchen aber zur Umsetzung der Energiewende die Akteursvielfalt mit Bürgern, Bürgerenergiegesellschaften und kommunalen Akteuren. Wer den Klimavertrag von Paris ernst nimmt, muss die Energiewende jetzt beschleunigen, Hindernisse abbauen, Fördermechanismen überarbeiten. Wind an Land und Photovoltaik sind heute schon absolut konkurrenzfähig mit Atom und Kohle, berücksichtigt man deren „versteckte Kosten“ (z.B. staatliche Subventionen und finanzielle Vergünstigungen, Gelder, die für die Endlagerung von Atommüll oder Umweltentschädigungen gezahlt werden müssen), die der Stromkunde zwar nicht auf seiner Stromrechnung findet, aber über seine Steuer bezahlen muss.
Auch am Beispiel Mobilität kann man leicht erkennen, dass es mit der Konsequenz unserer Regierung für die Umsetzung der Energiewende nicht so weit her ist. Sind es doch die Deutschen, die sich in der EU immer wieder gegen eine ambitionierte Senkung von Abgaswerten, also den Ausstoß von CO2, einsetzen und sich schützend vor die Autoindustrie stellen. Inkonsequent im Sinne der Energiewende ist es auch, dass die bei weitem umweltunfreundlichste Art zu reisen, das Fliegen, immer noch staatlich unterstützt wird, denn Flugbenzin ist gänzlich von der Mineralölsteuer befreit. Dieses enorme Steuerprivileg verschafft dem Flugverkehr einen Wettbewerbsvorteil gegenüber klimafreundlicheren Verkehrsmitteln. Oder die Elektromobilität: Die Bundesregierung hat das Ziel von einer Million elektrisch betriebenen E-Autos bis 2020 ausgegeben – das liegt aber noch in weiter Ferne. Nach Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) gab es in Deutschland Ende 2014 knapp 19.000 reine E-Autos, sowie 108.000 sogenannten Plug-In-Hybride, die die Bundesregierung zu den E-Autos zählt. Insgesamt waren 44,4 Millionen Pkw in Deutschland unterwegs. Was tut die Regierung, um die E-Mobilität konsequent zu fördern, bzw. klare gesetzliche Rahmenbedingungen und die erforderliche Infrastruktur zu schaffen?
Sie haben gemeinsam mit BürgerInnen aus ganz Europa und 30 Umweltverbänden offiziell Beschwerde bei der EU-Kommission eingereicht, weil diese Subventionen für das AKW Hinkley Point C in Großbritannien genehmigt hat. Worum geht es dabei?
Der Energiekonzern Electricité de France will im englischen Hinkley Point eines der größten Atomkraftwerke der Welt bauen. Finanzierbar ist das Projekt nur mit Subventionen durch die britische Regierung. Geplant ist ein Garantiepreis von über 11 Cent pro Kilowattstunde. Dieser soll über einen Zeitraum von 35 Jahren gewährt werden, dazu kommt noch ein jährlicher Inflationsausgleich, sodass die Vergütung nach Berechnungen der Financial Times bis zum Ende des Förderzeitraums auf rund 35 Cent je Kilowattstunde ansteigen wird. Der britische Staat sagt außerdem rund 20 Milliarden Bürgschaften und weitere Garantien zu. Während die Erneuerbaren durch eine stetige Senkung der Erzeugungskosten ihre Wirtschaftlichkeit demonstrieren, zeigt sich hier deutlicher denn je, dass die Atomenergie nach wie vor unwirtschaftlich ist – trotz bereits 60 Jahren massiver staatlicher Subventionen. Die ungelöste Atommüllfrage und die Unfallrisiken von AKWs stellen dabei weitere Gefährdungen dar, die sich finanziell gar nicht quantifizieren lassen.
Diese Beihilfen verstoßen klar gegen europäisches Wettbewerbsrecht – die EU-Kommission hatte sie dennoch im Oktober 2014 genehmigt. Damit schafft die EU-Kommission einen Präzedenzfall, der geeignet ist, einen Dammbruch auszulösen und dem Neubau von AKWs in Europa Tür und Tor zu öffnen.
So geht es bei unseren Beschwerden gegen die EU-Entscheidung nicht nur um die konkrete Verhinderung von Hinkley Point C, sondern auch darum, eine Atomrenaissance in Europa zu verhindern. Im Oktober 2015 konnte die EWS mehr als 180.000 Beschwerdebriefe an die EU senden und damit aufzeigen, dass die Bevölkerung die umstrittene EU-Entscheidung strikt ablehnt und sich solidarisch mit Österreich erklärt, das gegen diese Entscheidung Klage eingereicht hat.
EWS plante im letzten Jahr gemeinsam mit Yauemon Satoh, Schönauer Stromrebell 2014, eine Photovoltaikanlage in der verstrahlten Zone von Fukushima zu errichten. Was ist daraus geworden?
Wir haben uns seitdem mehrere Male in Deutschland mit Yauemon Satoh und seinem Mitstreiter Dr. Tetsunari Iida getroffen. Die beiden wollen das Ganze mit weiteren Beteiligten aus Japan und anderen Ländern inzwischen noch größer aufziehen und gründen eine Stiftung, deren Ziel es ist, die Bürger und Kommunen in der Präfektur Fukushima bei der Energieversorgung mittels Erneuerbarer Energien und lokaler/regionaler Stromverteilung zu unterstützen. Yauemon Satoh hat inzwischen bereits mit eigenen Mitteln mehrere PV-Anlagen gebaut, unsere finanzielle Unterstützung fließt nach Absprache mit der EWS in die Stiftung Fukushima MADEI Foundation, der die EWS beratend zur Seite steht.
Sie haben sich 2015 aus dem Vorstand der Netzkauf Schönau EWS zurückgezogen. Was sind Ihre Pläne für die nächsten Jahre?
Mein Mann und ich sind Anfang 2015 altershalber aus dem Vorstand ausgeschieden. Das heißt aber nicht, dass wir uns nun nicht mehr für die Energiewende engagieren – im Gegenteil. Von den operativen Tätigkeiten befreit, bleibt uns nun mehr Zeit, uns um die grundsätzlichen Rahmenbedingungen der Energiewende zu kümmern, uns mit der Zivilgesellschaft und den Anforderungen für ein klimafreundliches Wirtschaften auseinanderzusetzen, Vorträge zu halten und Menschen zu ermutigen und zu begeistern. Außerdem haben wir elf Enkel, die uns viel Freude bereiten und sich ihrerseits freuen, wenn wir Zeit für sie haben. Gerade die Kinder sind es auch, die uns Motivation und Ansporn sind, denn darum geht es ja: dass auch nachfolgende Generationen noch ein lebenswertes Leben führen können.
Ursula Sladeck baute gemeinsam mit ihrem Mann die Elektrizitätswerke Schönau (EWS) auf, die sie von 1997 bis 2014 leitete. Sie wird vom 26. bis 28.02.2016 auf dem Kongress 5 Jahre Leben mit Fukushima – 30 Jahre Leben mit Tschernobyl in Berlin zu Gast sein.