Den Atomausstieg feiern und für Klimagerechtigkeit kämpfen

Fahrraddemo zum Ende der AKWs in Deutschland. Foto: Antiatom Berlin

Fahrraddemo zum Ende der AKWs in Deutschland. Foto: Antiatom Berlin

Energiepolitische Fahrraddemo durch Berlin am 18. Juni 2022

Aus Anlass der Abschaltung der letzten drei deutschen Atomkraftwerke Emsland, Isar II u. Neckarwestheim 2 haben wir eine Fahrrad-Demo organisiert. Dem Aufruf waren 40 Demonstrant*innen gefolgt. Die älteste Teilnehmerin mit 83 Jahren kam mit ihrem Fahrrad aus Zehlendorf.

Die Demo startete mit einem Auftakt an der traditionsreichen Weltfriedensglocke im Friedrichshain. Uwe Hiksch begrüßte als Mitglied des Vereins Friedensglocke die Demonstrant*innen. „Wer von Atomkraft redet, darf von Atomwaffen nicht schweigen.“ Für die Modernisierung und den Ausbau des Fliegerhorstes Büchel wird die Bundesregierung in den nächsten Jahren 120 Millionen Euro ausgeben, um den Fliegerhorst zu erneuern und die Landebahn mit einem neuen Anflugsystem auszustatten. Damit nimmt die Bundesregierung einen unverantwortlichen atomaren Krieg in Europa in Kauf.

Es wurden Grußworte von ICAN  verlesen, da in dieser Woche in Wien die erste Konferenz der Mitgliedstaaten des Vertrags zum Verbot von Atomwaffen stattfindet. „Über 80 Staaten unterstützen den Vertrag und stärken damit eine neue Norm: Die Ächtung von Atomwaffen auf Grund ihrer katastrophalen humanitären Folgen. Auch die Stadt Berlin unterstützt seit 2019 den ICAN-Städteappell, ebenso wie viele Bezirke unserer Stadt die mit ihren Bürgermeister*innen im Netzwerk Mayors for Peace eine Welt ohne Atomwaffen und eine engagierte Politik dafür fordern. Es wird Zeit, dass auch die deutsche Politik die Risiken der Nukleartechnologie ernst nimmt.“ Sie betonen weiterhin: „Lasst das Ende der AKWs in Deutschland auch der Beginn einer neuen Debatte zu Atomwaffen und der Rolle Deutschlands in der nuklearen Abschreckung sein.“

Judith Dellheim vom Berliner Energietisch zeigte am Gaskraftwerk von Vattenfall den langen Atem des Widerstandes auf. Nach dem Volksentscheid über die Rekommunalisierung der Berliner Energieversorgung im Jahr 2013 konnte die Rekommunalisierung der Energienetze 2021 umgesetzt werden. Berlin hat auch seit 2014 wieder ein eigenes Stadtwerk und seit Mai 2022 einen aktiven Bürger*innenrat. Sie forderte „Soll ausgestrahlt wirklich ausgestrahlt sein und bleiben, müssen wir auch künftig gegen die Energiekonzerne und die Atomlobby aktivieren und kämpfen.”

Die Demo machte einen kurzen Halt vor der chinesischen Botschaft. China hat derzeitig 53 Atomreaktoren in Betrieb, hat 12  im Bau und 43 in Planung. China baut aber auch viel massiver die erneuerbaren Energien aus.

Vor dem Gebäude von ENBWii sprach ein junger Wissenschaftler vom Reiner Lemoine Institut über eine benötigte „Energiesystemwende“ in Deutschland: „Die aktuelle Energie- und Klimakrise lässt sich nur mit einem zügigen Umbau des Energiesystems lösen. Doch anstatt jetzt dezentrale Erneuerbare Energien und lokale Energiegemeinschaften zu stärken, werden Debatten über eine

Verlängerung der AKW-Laufzeiten und den Ausbau fossiler Infrastruktur geführt. Warum bringen uns diese Debatten nicht voran?“ „Deshalb müssen wir raus aus der fossilen Sackgasse und gestrandete Investitionen in fossile Energien vermeiden.“ In diesem Zusammenhang kritisierte er die aktuellen Bestrebungen neue LNG-Terminals zu bauen und Partnerschaften für eine Gasversorgung mit anderen Ländern aufzubauen, da dies keine nachhaltigen Lösungen sind. „In Deutschland wurde der Wärmesektor zu lange vernachlässigt. Wir müssen die Wärmewende jetzt anstoßen… Hier braucht es ein ambitioniertes Ausbauprogramm. Wie schnell Programme aufgesetzt werden können, zeigt sich an dem 100 Mrd. Euro Sondervermögen für die Bundeswehr. Diese Mittel zum Ausbau von Wärmepumpen könnte die Hälfte aller Gasthermen in privaten Haushalten ersetzen und den Gasbedarf deutlich senken.“

Die Demo machte dann einen Abstecher in das Viertel der Lobbyisten. Vorbei ging es an der FDP-Bundesgeschäftsstelle und der parteinahen Stiftung von Bündnis 90/Die Grünen, die Heinrich-Böll-Stiftung.

Dort informierte ein Mitglied des anti atom plenum berlin über das Thema Wirtschafts-Lobbyist*innen. „In Berlin gibt es ca. 5000 solcher Lobbyist*innen, die sich in der Nähe des Bundestages tummeln.“ Ausgediente Politiker*innen „lassen sich ihre Kontakte, die sie als Volksvertreter*innen hatten, direkt im Sinne der Kapitalgeber*innen versilbern.“ Margarete Wolf von den Grünen ist ein Beispiel für solch einen beeindruckenden Wechsel. Sie wechselte zu einer PR- Agentur, die für das Atomforum die erfolgreiche Kampagne zur Laufzeitverlängerung der AKWs gestaltete.

„Eine andere Art von Lobbyismus ist das Bündeln von z.B. Anti-Windkraft-Initiativen, wie es Vernunftkraft e.V. macht. Politisch unterstützt wird Vernunftkraft von der AfD und Teilen der FDP“. „Wer das Geld hat, hat die Macht. Das System des Wirtschafts-Lobbyismus steht für intransparentes Agieren, für ein Machtgefüge erhalten und Profite ausbauen.“

Der vierte Zwischenstopp führte zum „Europäischen Haus“. Hier informierte Uwe Hiksch von den NaturFreunden Berlin über den EURATOM-Vertrag. „Durch die riesige Subventionierung der Atomtechnologie wurde der Ausbau und die Förderung der Atomkraft seit vielen Jahren massiv vorangetrieben. Erst eine Revision der Europäischen Atomgemeinschaft wird einen endgültigen Atomausstieg in den Staaten der Europäischen Union und den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien in Europa möglich machen.“

Und er informierte über die Pläne von Mitgliedsländern, mit EU-Subventionen den Anteil der Atomkraft beim Strom sogar noch zu erhöhen. „Konkret plant die tschechische Regierung, den Atomstromanteil an der Bruttostromproduktion bis zum Jahr 2040 auf 49-58% zu erhöhen.“ „Wir hoffen, dass diese Pläne nicht aufgehen, da zwei wesentliche EU-Fachausschüsse das Greenwashing von Atomkraft und Gas schon abgelehnt haben.“

Die Abschlusskundgebung fand zwischen Kanzleramt und Bundestag, den politischen Schaltzentralen statt.

Delphine Scheel vom Anti-Atom-Bündnis Berlin-Potsdam erinnerte bei der Abschlusskundgebung an Höhepunkte und Rückschläge in der Geschichte der Anti-AKW-Bewegung, ohne die wir heute nicht den Atomausstieg Deutschlands feiern könnten. Sie erinnerte auch an Personen wie Carl-Friedrich von Weizsäcker, der „als Friedensaktivist der BRD nicht müde wurde, die Nachkriegsdeutschen von der atomaren Wiederaufrüstung abhalten zu wollen.“ Sie erinnerte auch an die Zivil-Courage von Sebastian Pflugbeil, der „1989 in der letzten DDR-Regierung als Minister ohne Geschäftsbereich dafür sorgte, dass alle DDR-AKWs stillgelegt wurden. Dazu verfasste er ein Gutachten, das den katastrophalen Zustand der Anlagen nachwies“.

Stephan Worseck vom Anti-Atom-Bündnis Berlin-Potsdam sprach über das Problem des Atommülls. „Der sogenannte ‚billige‘ Atomstrom war ein Märchen, das ein teures Nachspiel hat. Die Endlagerung des deutschen Atommülls wird eine technische und gesellschaftliche Herausforderung sowie eine Kosten-Bürde für die nächsten Generationen sein.“ Und auch in Berlin wurde massenhaft Atommüll, jedoch „im Namen der Wissenschaft“ produziert.

Einige Demonstrant*innen engagieren sich heute im Dialog-Verfahren zum Rückbau der Berliner Reaktoren. „Die Begleitgruppe zum Berliner Rückbauprojekt wird darauf achten, dass das Zwischenlager in Berlin so gebaut wird, dass dieser Atommüll sicher gelagert werden kann, auch weil die nächsten Terminverschiebungen für die Eröffnung eines Endlagers zu berücksichtigen sind.“

Alle Demonstrant*innen waren sich einig: „Wichtige Dinge dürfen wir nicht einer Regierung überlassen.“

Stephan Worseck ist im Anti-Atom-Bündnis Berlin Potsdam aktiv.
Mehr Infos: https://antiatomberlin.de/