Viransehir: Das Militär ist allgegenwärtig

Die Delegation trifft Emrullah Cin in Viransehir. Foto: privat

Die Delegation trifft Emrullah Cin in Viransehir. Foto: privat

Wegen der schwierigen Sicherheitslage beschließen wir, nicht an der großen Newroz-Feier in Diyarbakir teilzunehmen, sondern nach Viransehir zu fahren, wo wir Gelegenheit haben, einen langjährigen Gesprächspartner zu treffen. Der Oberbürgermeister Emrullah Cin empfängt uns in seinen Amtsräumen.
„Die AKP ist keine Partei oder Regierung mehr: Die AKP ist der Staat“, beginnt er seine Beschreibung der jetzigen Situation. Von der Regierungsspitze bis zu den Gouverneuren und Landräten sprächen alle mit Edogans Stimme.

In den 23 Monaten seiner erneuten Amtszeit war die Stadtverwaltung unter ständiger Kontrolle des Innenministeriums. Die Kontrolleure waren über 100 Tage hier vor Ort, nach Fehlern zu suchen und die Arbeit zu boykottieren. Zum Beispiel haben sie sich direkt in landwirtschaftliche Fragen wie Tierhaltung  oder Nähprojekte von Frauen eingemischt und diese abgelehnt. Solche Einmischungen in kommunale Entscheidungen seien in Europa undenkbar und hätten das Ziel, die HDP-Verwaltung bei den Bürgern vorzuführen und zu diskreditieren. Weiterlesen

Massaker an den Kurden: Im Gespräch mit Ahmet Türk, Bürgermeister von Mardin

Ahmet Türk, Bürgermeister von Mardin, im März 2016. Foto: privat

Ahmet Türk, Bürgermeister von Mardin, im März 2016. Foto: privat

Ahmet Türk ist für viele Kurden eine Ikone. Er hat in den vergangenen 40 Jahren die Höhen und Tiefen der Politik erlebt, er kennt ihre Winkelzüge, ihre Fallen, ihre Versprechungen und ihre Täuschungen. Es ist seine Erfahrung, seine Standhaftigkeit gegenüber Gefängnis und Betätigungsverbot, aber sicher auch sein Status als Oberhaupt eines großen und reichen Clans, die seiner Stimme Gewicht verleiht. Der 73-jährige ist vom Erscheinungsbild und Habitus ein kurdischer Aristokrat, vom Denken her ein Demokrat und liberaler Geist. Zusammen mit der 45 Jahre jüngeren aramäischen Christin Februniye Akyo übt er für die BDP das Amt des Bürgermeisters der Großstadt Mardin aus. In seinem Stab finden sich viele junge Leute, darunter auch eine junge Jesidin, die in Deutschland studiert hat. Der multiethnischen und multireligiösen Tradition der Stadt fühlt Türk sich verpflichtet. Weiterlesen

Die Welt hat geschwiegen: Ein Besuch in Cizre

Die Menschen veruchen sich in den Trümmern einzurichten. Foto: privat

Die Menschen veruchen sich in den Trümmern einzurichten. Foto: privat

Auf unserem Weg in die Kleinstadt Cizre nahe der türkisch-irakischen Grenze erklärt uns an einer Straßensperre ein schwer bewaffneter Polizist, Cizre sei jetzt gesäubert.

Die HDP-Bürgermeisterin der 135.000 Einwohner zählenden Stadt, Leyla Imret, berichtet uns von der dortigen Ausgangssperre. Leyla Imret wurde 2014 mit 84 Prozent der Stimmen gewählt, im September 2015 aber von der Regierung ihres Amtes enthoben, nachdem sie ihre Sorge vor einer Gewalteskalation in einer Rede geäußert hatte und ihr dies als Terror-Propaganda ausgelegt wurde. Gegen sie laufen drei Klagen. Sie darf die Türkei nicht verlassen. Dennoch arbeitet sie als Bürgermeisterin mit ihrer Stadtverwaltung weiter – auch unter schwierigsten Bedingungen. Weiterlesen

Das Ziel ist auch die völlige Zerstörung der Wohnviertel – Ausgangssperren verletzen Menschenrechte

Die zerstörte Altstadt von Diyarbakir Anfang 2016. Foto: anonym

Die zerstörte Altstadt von Diyarbakir Anfang 2016. Foto: Anonym

Für Ausgangssperren, die länger als 15 Tage sind, gibt es in der Türkei keine rechtliche Grundlage. Unsere heutigen Gesprächspartner in Diyarbakir (demokratische Plattform, Anwaltskammer, Oberbürgermeisteramt, Ärztekammer und städtisches Kulturdezernat) sind schockiert von den 105 Tagen, in denen sechs Stadtviertel der historischen Altstadt Sur ununterbrochen unter Ausgangssperre standen.

Bei den ersten Ausgangssperren im Südosten gab es keine Fristen zum Verlassen der Viertel. In Sur hatten die Menschen trotz vorzeitiger Ankündigung gehofft, dass es bald vorüber sei und blieben in ihren Häusern. Oder mussten bleiben. Denn ein Muster aller Sperrzonen ist, dass vor allem Viertel mit hoher Armut und hohem Anteil von vertriebener Landbevölkerung betroffen sind. Außerhalb der Sperrzonen steigen die Mieten, drängen sich Familien auf engstem Raum, werden Schulen und Gesundheitszentren geschlossen, um dort Einsatzkräfte und Militär unterzubringen. Weiterlesen