Ein Abend zu Dayanışma, der türkischen Solidarität

Netzwerktreffen des Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlags am 10. Januar 2018 mit Peter Steudtner. Foto: Loubna Messaoudi

Was bedeutet es, über Monate hinweg mit nur einer einzigen Person reden zu können? Jeden Tag die Ungerechtigkeit von Gefängniswärtern, die Unfreiheit hinter Gitterstäben erdulden zu müssen? Der Berliner Menschenrechtler Peter Steudtner wurde am 5. Juli 2017 gemeinsam mit anderen AktivistInnen auf der Istanbuler Prinzeninsel verhaftet und verbrachte anschließend über 100 Tage in türkischem Gewahrsam. Am 10. Januar 2018 sprach er beim Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag über seine Erfahrungen, über Solidarität hinter Gittern und über Gespräche, die auch Gefängnismauern überwinden.

„Gespräche sind unser Recht. Das könnt ihr uns nicht nehmen.“ Mehrmals täglich hallen diese Worte durch die Gänge der Justizvollzugsanstalt Silivri, 70 Kilometer westlich von Istanbul. So klingt Solidarität hinter Gittern und Mauern. So klingt das Festhalten am Recht auf zwischenmenschliche Kommunikation, ein Funken Widerstand gegen das, was Peter Steudtner als den schwersten Teil seiner Haft beschreibt: die soziale Isolation.
Peter Steudtner wurde weder im Polizeigewahrsam noch im Gefängnis misshandelt. Er habe sich sogar eine große ‚Zellen-Suite‘ mit nur einem jungen Mithäftling geteilt, von Folter oder überfüllten Räumen kann in seinem Fall also keine Rede sein. Sicher hat die weltweite mediale Aufmerksamkeit nach der Verhaftung der FriedensaktivistInnen hierzu beigetragen, er sei im Knast wie ein bunter Hund gewesen. Dennoch hat die Haft Spuren hinterlassen, besonders die eingeschränkte Kommunikation sei nur schwer zu ertragen gewesen. Aber die Not hat die Insassen erfinderisch gemacht und so fanden sie Wege, um sich gegenseitig Mut zu geben und ihre Lage solidarisch zu ertragen. Sie riefen sich über die sieben Meter hohen Mauern im Hof zu und benutzten ein ganz eigenes ‚cell-phone‘: über den Gully im Hof erreichten ihre Worte auch noch Zellen, die sich drei Türen weiter befanden und so eigentlich außerhalb der Gesprächsreichweite lagen.

Wenn Peter Steudtner von diesen Erlebnissen berichtet, hört man keine Wut in seiner Stimme, er spricht ruhig und leise. Er ist sich seiner Privilegien in der türkischen Haft bewusst. Politikern wie Gerhard Schröder, Peter Altmaier und Sigmar Gabriel, die sich für ihn eingesetzt haben, sei er zwar auf einer menschlichen Ebene dankbar, doch politisch sieht er die letzten Monate sehr kritisch und fordert mehr Einsatz, auch für die in türkischer Haft verbliebenen politischen Gefangenen.

Nach seinen Berichten spricht Dr. Stefanie Kron von der Rosa Luxemburg Stiftung über die Kampagne #freeDeniz, die sich für die Freilassung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel einsetzt. Und schnell wird deutlich, was Peter Steudtner mit seinen Privilegien meinte: Auch nach einem knappen Jahr in Untersuchungshaft liegt noch nicht mal eine Anklageschrift gegen den Welt-Korrespondenten vor. Nach türkischem Gesetz ist dies erlaubt, bei komplizierten Ermittlungen wäre sogar eine Dauer von fünf Jahren zulässig. Doch im Fall von Yücel handele es sich nicht um komplizierte Ermittlungen, die Vorwürfe stützen sich auf zwei von ihm verfasste, frei zugängliche Artikel.

Obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eigentlich erst für gerichtliche Verfahren zuständig ist, nachdem alle Rechtsmittel ausgeschöpft und sämtliche Instanzen des nationalen Rechtssystems durchlaufen wurden, ließ er die Beschwerde Deniz Yücels gegen seine Untersuchungshaft zu und forderte die Türkei zu einer Stellungnahme auf. Wenige Stunden vor Ablauf der Frist kam das Land der Aufforderung auch nach, präsentierte jedoch keine neuen Vorwürfe. Somit dauert das Verfahren an, eine Entscheidung wird frühestens in einigen Monaten erwartet.

In der Beschwerde hatten Yücels Anwälte das Vorgehen der Türkei als Verstoß gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit, gegen die Meinungsfreiheit und gegen das Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung in der Haft bezeichnet. Damit spielen sie unter anderem auf die monatelange strenge Isolationshaft an, die sogar für türkische Haftzustände als unverhältnismäßig bezeichnet wurde.

Zum Schluss des Abends machten Peter Steudtner und Stefanie Kron noch einmal auf die #freeDeniz- Kampagne aufmerksam. Das Gefühl, dass hunderte Menschen bei Mahnwachen und Protestaktionen, bei Briefkampagnen und Informationsabenden sich für einen einsetzen, habe ihm im Gefängnis ungemein geholfen, so Steudtner. Nicht nur die Solidarität unter den Insassen, sondern auch die Solidarität der Zivilgesellschaft mache das Erdulden der Haft möglich und setze die türkische Regierung unter Druck, endlich ihren rechtsstaatlichen Verpflichtungen nachzukommen.

Hier geht es zur Facebook-Seite der #freeDeniz- Kampagne: https://www.facebook.com/FreundeskreisFreeDeniz/

Hier finden Sie den Aufruf der Welt-Zeitung, Briefe an Deniz Yücel zu senden: https://www.welt.de/print/die_welt/politik/article172403089/Free-Deniz.html

Jonathan Seel studiert Transnationale soziale Arbeit in Frankfurt. Er absolviert zur Zeit ein Praktikum in der IPPNW-Geschäftsstelle.