Plädoyer für eine Reform der Vereinten Nationen

Länder-Fahnen vor dem UNO-Gebäude in Genf. © Yann Forget / Wikimedia Commons / CC-BY-SA.

Länder-Fahnen vor dem UNO-Gebäude in Genf. Foto: Yann Forget / Wikimedia Commons / CC-BY-SA.

Eine Reform der Vereinten Nationen ist unabdingbar, um die globalen Krisen, den Klimawandel und die Gefahr eines Atomkrieges abwenden zu können. Die weltweite Bekämpfung von Hunger und Armut bedarf eines neuen Anschubs der Mitgliedsstaaten. Strukturen müssten reformiert werden, um die Handlungsfähigkeit der UN zu verbessern.

Dieser Mammutaufgabe stellt sich der „UN-Zukunftsgipfel 2024“, der derzeit von den UN-Botschaften Deutschlands und Namibias vorbereitet wird. An der Planung beteiligen sich Nichtregierungsorganisationen, Experten aus der Wissenschaft und anderer Institutionen.


Über 300 internationale Organisationen der Zivilgesellschaft, darunter u. a. Amnesty International, Greenpeace, Sektionen der Internationalen Ärzte*innen für die Verhütung des Atomkrieges e. V. (IPPNW) sowie die Kampagne für ein Verbot der Atomwaffen (ICAN), beteiligen sich engagiert in vielfältiger Form an der Vorbereitung des im September 2024 stattfindenden Zukunftsgipfels der Vereinten Nationen.

Federführend verantwortlich für die Planung und Realisierung des Gipfels sind die Deutsche UN-Botschafterin Antje Leendertse und Namibias Botschafter Neville Gertze. In Kooperation mit den Mitgliedsstaaten der UN und der Zivilgesellschaft sollen sie ein tragfähiges Fundament für eine Reform der Vereinten Nationen entwickeln. Eine Mammutaufgabe und große Herausforderung für die UN-Botschaften aus Deutschland und Namibia!

Inzwischen wurden einige hundert Stellungnahmen zivilgesellschaftlicher Organisationen ausgewertet und am 29. Januar 2024 der Entwurf eines „UN-Zukunftspaktes“ präsentiert. „Wir haben versucht, das breite Spektrum auszubalancieren, waren uns jedoch bewusst, dass wir nicht alle Aspekte der schriftlichen Eingaben berücksichtigen konnten. Wir werden gemeinsam nach einer Welt streben, die sicherer, friedlicher, gerechter, gleichberechtigter, integrativer und nachhaltiger ist.

Um dies zu erreichen, bekräftigen wir unser Bekenntnis zur Charta der Vereinten Nationen und zum Völkerrecht. Wir bekräftigen außerdem, dass die drei Säulen der Vereinten Nationen – Entwicklung, Frieden und Sicherheit sowie Menschenrechte – miteinander verbunden sind und sich gegenseitig verstärken. Wir bekräftigen außerdem, dass die Beseitigung der Armut in all ihren Formen die größte globale Herausforderung und eine unabdingbare Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung ist“, so Antje Leendertse und Neville Gertze.

Ausgangspunkt des Zukunftsgipfels ist die Charta der Vereinten Nationen von 1945. Sie fordert von allen Unterzeichnerstaaten die friedliche Beilegung von Konflikten. Dieses allgemeine Friedensgebot bedarf einer Bestärkung unter den Mitgliedsstaaten und wird beim Zukunftsgipfel besonders hervorgehoben:
„Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden.“ (Kapitel I, 2 UN-Charta)

Besonders die fünf Vetomächte im UN-Sicherheitsrat verweigern sich regelmäßig diesem zentralen Friedensgebot. Sie sind zugleich Atomwaffenstaaten, die den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet haben und die daraus resultierende Verpflichtung nach Abrüstung und Abschaffung der Atomwaffen aber bis heute nicht eingelöst haben. Rüstungskontrolle und Abrüstung der Atomwaffen steht somit wieder auf der Agenda. Atomwaffen und der Klimawandel bedrohen die Existenz allen Lebens auf unserem Planeten. Der Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen weist den Weg zu einer atomwaffenfreien Welt.

Der Vertrag trat am 22.01.2021 in Kraft. Inzwischen haben ihn weltweit 70 Staaten ratifiziert. Der Vertrag untersagt allen Unterzeichnerstaaten, Atomwaffen zu entwickeln, herzustellen, zu lagern und zu testen. Auch die Weiterverbreitung von Atomtechnologie ist verboten. Die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen schließen sich damit aus.

Biologische Waffen sind seit 1975, chemische Waffen seit 1997 völkerrechtlich verboten. Das gilt nun endlich auch für Atomwaffen. Der Verbotsvertrag wird in den kommenden Jahren immer mehr an Gewicht gewinnen und weltweit Staaten zur Unterzeichnung veranlassen. Diese Entwicklung wird sich auch nicht über Einflussname der Atomwaffenstaaten aufhalten lassen. Vielmehr wird der Druck auf diese wachsen, endlich die im Atomwaffensperrvertrag eingegangenen Verpflichtungen einzulösen.

Der Zukunftsgipfel könnte als möglichen Zeitrahmen einer Abschaffung aller Atomwaffen den 100. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima festlegen. 2045 wäre die Deadline für die Realisierung des Vorhabens. Diese Verpflichtung sollte mit allen Atomwaffenstaaten vertraglich angestrebt und Zwischenschritte zur Erreichung des Ziels vereinbart werden. Das schließt auch eine vertragliche Vereinbarung über ein Verbot der Androhung und des Ersteinsatzes von Atomwaffen ein.

Kriege und die weltweiten Rüstungsausgaben von derzeit über
zwei Billionen US-Dollar sind ein Antreiber des Klimawandels. Es wird im Zukunftspakt angestrebt, die Ausgaben zugunsten der Bewältigung der Klimakrise kontinuierlich um ca. 5% zu reduzieren.

Das im Pariser Klimaabkommen vereinbarte Ziel, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen und eine weltweite Dekarbonisierung bis 2040 zu erreichen, sollte handlungsleitend für den Zukunftsgipfel sein.

Die größte Herausforderung ist die angestrebte Reform des Sicherheitsrats. Aus den Stellungnahmen der Mitgliedsstaaten und der NGOs geht eindeutig hervor, dass dieses Projekt Priorität für den Zukunftsgipfel hat. Bis Juni 2024 beabsichtigen die beiden UN-Botschaften, einen ersten Reformentwurf zu präsentieren und in die Beratung einzubringen.

Der Sicherheitsrat mit der Dominanz der 5 ständigen Mitglieder, den Veto- und Atommächten USA, Russland, China, England und Frankreich, blockiert sich nicht nur selbst sondern vor allem die gesamte UN. Mit dem Vetorecht werden dringliche Friedens- und Konfliktlösungen torpediert. Der Sicherheitsrat ist im Gegensatz zur Generalversammlung die Institution, die völkerrechtlich bindende Resolutionen beschließen kann.

Kann die ständige Blockadehaltung der Vetomächte, die die Vereinten Nationen oft lähmt, ja sogar handlungsunfähig macht, entflochten und strukturell verändert werden?

Gegenwärtig hat der Sicherheitsrat 15 Mitglieder, fünf ständige (die sogenannten P5) und 10 nichtständige Mitglieder, die nach einem festen Regionalschlüssel von der Generalversammlung für 2 Jahre gewählt werden. Eine mögliche Reform strebt eine größere Repräsentanz der Mitglieder des Südens an. Vorgeschlagen wird von Experten eine Erhöhung der Mitgliederzahl von 15 auf 25. Die ständigen Sitze würden auf 10, die nichtständigen auf 15 erhöht.

Das Ziel wäre die Einführung einer neuen Abstimmungsregel mit weniger Blockierungspotential. Die Reformvorschläge könnten gem. Art. 109 der UN-Charta in einer sogenannten „Allgemeinen Konferenz“ mit einer 2/3 Mehrheit der Generalversammlung zur Annahme empfohlen werden. Die P5 könnten somit nicht verhindern, dass die Vorschläge von der Generalversammlung angenommen werden. Über einen moderaten Druck der reformwilligen Mitgliedsstaaten und mit diplomatischem Geschick müssten die 5 Vetomächte zu einer Änderung der UN-Charta bewegt werden. Ob das gelingen kann, ist ungewiss.

Mit Spannung wird der Strategievorschlag erwartet, den die deutsche UN-Botschafterin und der UN-Botschafter Namibias im Juni präsentieren werden.
Die Vorbereitung des Zukunftsgipfels wird fortgesetzt mit einer Konferenz der Zivilgesellschaft, die auf Einladung der beiden UN-Botschafter am 9. und 10. Mai 2024 in Nairobi stattfinden wird. Auf der Konferenz soll der „Pakt für die Zukunft“ mit den internationalen Organisationen, den NGOs und Verbänden ausführlich beraten werden.

Nairobi wurde als Tagungsort ausgewählt, um die Interessen und Belange Afrikas stärker gewichten zu können. Die ungleiche Verteilung von Lebenschancen zwischen Staaten des Südens und des Nordens ist eine wesentliche Ursache von Spannungen und gewaltsamen Konflikten. Auf der Konferenz der Zivilgesellschaft in Afrika wird sicher auch über Entschuldung, den Abbau des Protektionismus und über gerechtere Handelsstrukturen beraten werden. Die weltweite Bekämpfung von Hunger und Armut, das Bemühen um gleiche und gerechte Lebenschancen weltweit, sind eine dauerhafte Verpflichtung und Aufgabe aller Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen.

Es ist zu hoffen, dass der Zukunftsgipfel die Weichen für eine Reform der Vereinten Nationen stellt und deren Handlungsfähigkeit für Frieden, Nachhaltigkeit und Entwicklung stärkt. Wesentliche Ziele sind dabei:

Zur UN-Struktur:

  • Reform des UN-Sicherheitsrats mit einer Aufstockung der ständigen Mitglieder und einer neuen Abstimmungsregelung mit weniger Blockierungspotential;
  • Aufwertung und Stärkung der UN-Vollversammlung;
  • Stärkung der Position des Generalsekretärs;

Zur inhaltlichen Agenda:

  • Stärkung des Friedensgebotes der UN-Charta;
  • Neue Anstöße zur Rüstungskontrolle und Abrüstung von Atomwaffen;
  • Eindämmung des Klimawandels mit dem Ziel der Dekarbonisierung und Einhaltung des 1,5 Grad Ziels des Pariser Klimaabkommens;
  • Bekämpfung des Hungers und der Armut sowie die Sicherstellung gleicher und gerechter Lebenschancen weltweit.

Rolf Bader ist ehemaliger Geschäftsführer der IPPNW und Offizier a.D. der Bundeswehr.

Erschienen auf Telepolis am 11. März 2024

2 Gedanken zu „Plädoyer für eine Reform der Vereinten Nationen

  1. Absichtserklärungen haben wir schon viele gehabt. Für die Mehrheit der Menschen auf unserem Globus ist die UN weit weg von ihrer Lebensrealität, noch weniger, wie sie persönlich eingreifen können. Am Beispiel der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele zeigt sich ja, dass hinter schönen Worten und formulierten Zielen kaum was umgesetzt werden kann und diejenigen, die sich in ihrem Regierungshandeln danach richten sollen (wollen?), alles andere tun, nur nicht diese Ziele zu erreichen. Ich bin skeptisch, dass von der UN wirkliche Veränderungen ausgehen. Sie sind eher ein Papiertieger.Nur wir selbst, in unserer Umgebung und bei uns können noch was verändernOb das letztlich reicht, das “Steuer” zum Abgrund und Auslöschung noch herumzudrehen, ist eher eine immer mehr verblassende Hoffnung, die wir allerdings nicht aufgeben dürfen. Ich jedenfallswerde keine Energie und Kraft dafür einsetzen, mich für die Reform einer UN einzusetzen.

    • Lieber ELU,
      ich begleite diesen Zukunftsgipfel seit unserer Jahrestagung im September 2023 und erlebe eine Beteiligung von NGOs, die mich total beeindruckt. Die Konferenz der Zivilgesellschaft am 9./10.Mai 2024 findet in Nairobi statt und wird derzeit von dem dortigen UN-Sekretariat vorbereitet. Vielleicht gelingt es, dass die dortige IPPNW-Sektion, die den IPPNW-Weltkongress veranstaltet hatte, noch eine Akkreditierung und Teilnahme zu erreichen. Ich habe viele Stellungnahmen von NGOs gelesen, die Mut machen und für mich eine Bestärkung sind.
      Natürlich bin ich Realist. Der Zukunftsgipfel wiird nur ein Anstoß für eine vielleicht förderliche Entwicklung für die UN sein. Große Reformen erwarte ich nicht. Aber einen Prozess, der vielleicht die Handlungsfähigkeit der UN stärken wird.
      2025 wird das 80–jährige Jubiläum der UN sein. Der Zukunftsgipfel stellt die Weichen für dieses Jahr.
      Ich bleibe jedenfalls dran und werde mich intensiv weiter damit befassen.

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