Friedensnobelpreisverleihung in Oslo

Social Happening für die ICAN Campaigner am 9. Dezember 2017 in Oslo, Foto: Ralf Schlesener

Am 6. Oktober 2017 gab das Nobelpreiskommittee bekannt, dass der Friedensnobelpreis dieses Jahr an ICAN (Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen) vergeben wird. Traditionell wird der Preis am 10. Dezember verliehen, dem Todestag von Alfred Nobel. Dieser hat in seinem Testament drei Kriterien festgelegt, anhand derer die PreisträgerInnen ausgewählt werden soll: Der Preis solle an denjenigen vergeben werden der/die erstens am besten auf die Verbrüderung der Völker, zweitens auf Abrüstung und Waffenkontrolle hingewirkt hat und sich drittens für die Förderung von Friedenskongressen eingesetzt hat. ICAN hat den Preis dieses Jahr voll und ganz verdient, wie Berit Reiss-Andersen, Vorsitzende des Nobelpreiskommittes so wunderbar in ihrer Rede bei der Verleihung sagte: „ICAN works vigorously to achieve nuclear disarmament. ICAN and a majority of UN member states have contributed to fraternity between nations by supporting the Humanitarian Pledge. And through its inspiring and innovative support for the UN negotiations on a Nuclear Weapon Ban Treaty, ICAN has played an important role in bringing about what in our day and age is equivalent to an international peace congress.” Dieses Gefühl, dass wir auf dem absolut richtigen Weg sind, war während des gesamten Wochenendes, das ich in der Gemeinschaft von vielen ICAN CampaignerInnen in Oslo verbringen durfte, zu spüren.

“What if Oslo was no more?” – Das war der Titel des ersten Seminars am Freitag. Einleitend stellte Ira Helfand  in seiner beeindruckend einprägenden Art und Weise die humanitären Folgen eines Atombombenabwurfes und die eines begrenzten Atombombenkrieges dar. Untermauert wurden seine Worte von Susi Snyder, Mitglied des Internationalen ICAN-Lenkungsausschusses: “Noch nie in meinem Leben hatte ich so viel Angst vor einem Atomkrieg wie jetzt, auch nicht als ich als Grundschülerin lernte, wie man sich am Besten unterm Schreibtisch versteckt“ – ein sehr drastischer Einstieg in dieses feierliche Wochenende.

Nach dem Seminar nutzen wir die Gelegenheit und trafen uns für ein kurzes Vorstandstreffen. Wir bestärkten uns in unserer Meinung, dass die IPPNW jetzt viel Arbeit darauf verwenden muss, die Verbindung zwischen ICAN und der IPPNW deutlich zu machen, um so ebenfalls von dem Nobelpreis zu profitieren. Am Abend trafen sich dann alle IPPNWlerInnen bei einem gemeinsamen Essen in der Cafeteria der Norwegian Medical Association. Trotz des etwas kühlen und einfachen Umfelds herrschte eine sehr gemütliche und familiäre Atmosphäre – wie so oft wenn sich IPPNWlerInnen aus aller Welt treffen. Kirsten Osen, eine der Gründungsmitglieder von der IPPNW Norwegen erklärte uns, was zur typisch norwegischen Küche gehört. Schade, dass an diesem Abend nur der Nachtisch “typisch Norwegisch” war. Wir Studierenden waren alle gemeinsam in einem kleinen Gartenhaus einer norwegischen Ärztin untergebracht. Wir hatten ein ganzes Haus für uns und die gemütliche, warme Küche wurde für mich sofort zum Ruheort, ohne den ich dieses aufregende Wochenende nicht so hätte genießen können.

Am Samstag trafen sich alle ICAN CampaignerInnen in den Räumen der NPA (Norwegian People Aid). Ich wusste schon einiges über die Gründungsumstände von ICAN, aber trotzdem war es sehr inspirierend, Ron McCoy zuzuhören, wie er über seine ganz persönlichen Hintergründe sprach und wie er nach der NPT-Konferenz 2005 begriffen habe, dass es Zeit ist für einen neuen Ansatz in der Abrüstungsdebatte. Und dann Sue Coleman-Haseldine, eine Hibakusha aus Australien, die in sehr bildhafter Sprache beschrieb, wie ihr Zuhause durch Atomtests zerstört wurde und wie ihre Heimatstadt zur „Cancer-City of Australia“ wurde. Für viele Anwesende war ein Großteil dessen, was bei diesem Treffen gesagt wurde, nichts Neues und doch erzeugten die Vorträge ein verbindendes Gefühl – etwas, was ich bis dahin auf internationaler Ebene bei ICAN noch nicht kannte. Dieses Gefühl von Gemeinschaft wurde noch stärker als wir mit einigen der CampaignerInnen nach der Zeremonie zu Ehren des Friedenspreises vor der Trinity Church mit Kerzen in der Hand gemeinsam „We shall overcome“ sangen, ein wirklich sehr berührender Moment.

Absoluter Höhepunkt des Wochenendes war am Sonntag die Verleihung des Nobelpreises. Für alle, die keinen Platz im Rathaus bekommen konnten, wurde die Zeremonie live in das Nobelpreis-Centre übertragen. Als ich gemeinsam mit Carlotta Conrad (IPPNW-Vorstandsmitglied) und Prof. Ullrich Gottstein (IPPNW-Ehrenvorstand) dorthin lief, sorgten die Strahlen der tiefstehenden norwegischen Sonne dafür, dass auch wir uns ein bisschen so fühlten als stünden wir heute im Rampenlicht. Spätestens als Beatrice Fihn sagte: “We represent those who refuse to accept nuclear weapons as a fixture in our world, those who refuse to have their fates bound up in a few lines of launch code. We are the only rational choice” realisierte ich, dass das wirklich ein Preis für alle ist, die diese grundsätzliche Annahme teilen. Auch wenn die eigentliche Belohnung der langen und harten Arbeit der im Juli von 122 Staaten beschlossene UN-Vertrag für ein Verbot von Atomwaffen ist, ist der Nobelpreis eine Auszeichnung, die den Ächtungsvertrag in seinem ganzen Umfang und Bedeutung ehrt. Durch die präzise Beschreibung der aktuellen Situation im Abrüstungsprozess von Berit Reiss-Andersen, durch den starken Appell von Beatrice Fihn und die unzerstörbare Kraft, die in der Mimik und der Stimme von Setsuko Thurlow zu lesen war, wurde aber auch deutlich, dass noch viel Arbeit vor uns liegt. Die Worte, die ihr zugerufen wurden, als sie als 13-jähriges Mädchen unter den Ruinen ihrer Schule begraben lag, stehen stellvertretend für das, was jetzt auf alle CampaignerInnen zukommt: „Don’t give up! Keep pushing! See the light? Crawl towards it.”

Als die Zeremonie zu Ende war, dachte ich mir: Besser hätte man oder besser FRAU es nicht sagen können – alles was wir jetzt machen müssen ist, die Reden zu nutzen, die Worte zu besetzen und sie jedem „unter die Nase zu reiben“, wie IPPNW-Vorstandsmitglied Helmut Lohrer anschließend sagte.

Auch die OsloerInnen waren beeindruckt von der Größe ICANs, die sich physisch in dem Fackelzug am Sonntagabend wiederspiegelte. Auf dem Rathausplatz angekommen wurde mir von einem fremden Mann aus Oslo herzlichst für mein Engagement gedankt. Auch die Bürgermeisterin von Oslo, Marianne Borgen, die uns am Montagnachmittag in ihrem Büro im Rathaus empfing, unterstützt als „Mayor for Peace“ ICAN und war begeistert von den vielen CampaignerInnen.

Natürlich durfte bei allen Feierlichkeiten eines nicht fehlen: Musik, Tanz und Spaß! Allerdings hatte ich das Gefühl, dass der DJ, der am Sonntagabend im Rockefeller-Centre in Oslo auflegte, das Besondere an ICAN noch nicht verstanden hatte: Es wurde vor allem Musik aus den 80er Jahren gespielt… Ich denke, jedes ICAN Mitglied weiß Lieder aus den 80-igern zu schätzen, kann sich aber mehr mit aktuelleren Songs identifizieren. Ab halb eins tanzten dann auch alle, die bei dem offiziellen Bankett dabei sein durften mit und die Musik wurde Stück für Stück besser.

Doch das Wochenende und die Feierlichkeiten sollten noch nicht zu Ende sein: Das Friedensnobelpreis-Konzert fand am Montagabend in einer riesigen Arena statt. Das Programm war voll mit bekannten Popstars, wie Lukas Graham oder Zara Larson, aber die Stars dieses Abends waren Beatrice Fihn und Setsuko Thurlow. Als sich Beatrice zusammen mit 40 ICAN-CampaignerInnen auf der Bühne an das Publikum wendete, gab es minutenlang stehenden Applaus, taktgebend für die Rufe von der Bühne „I CAN, WE CAN, WE DID IT“. Beatrice nutze die einmalige Chance, um allen im Publikum klar zu machen, dass jede/r, die/der mit den Zielen der Kampagne übereinstimmt, Mitglied werden kann und, dass es nun an uns – der Zivilgesellschaft ist, das letzte Kapitel der Bewegung zu schreiben und die PolitikerInnen, die ja schließlich die BürgerInnen vertreten, dazu zu bringen, den Vertrag zu unterzeichnen. Es war eines dieser großen Konzerte, wo man die KünstlerInnen eh kaum sieht, ewig auf der Toilette anstehen muss und die Getränke viel zu teuer sind, aber es war durch die perfekte Mischung zwischen Entertainment und ICAN-Werbung einmalig und sehr wertvoll. Alle, mit denen ich gesprochen habe, waren begeistert und beflügelt, wie erreichbar unser Ziel plötzlich erscheint, wenn man zu 10.000 Menschen auf einmal sprechen kann.

Dennoch war auch an diesem Abend beim „Social-Happening“ in der Innenstadt kein Hauch von übertriebener Selbstsicherheit oder Selbstverliebtheit zu spüren. Es wurde darüber gesprochen, wie wir dieses Konzert und die Reden bei der Zeremonie für uns nutzen können, dass ICAN transparenter werden muss und demokratischer auf der internationalen Ebene.

Persönlich begreife ich erst langsam, was ich alles erlebt habe an diesem Wochenende. Heute während der Führung durch das Museum, als die Museumsführerin die Geschichte von Hirsohima und Nagasaki erzählte, wurde mir plötzlich ganz warm ums Herz. Das ist das erste Mal, dass ich die Geschichten und Argumente, die seit so vielen Jahren von der IPPNW und ICAN erzählt werden in einer öffentlichen Ausstellung sehe, zugänglich für jeden für das gesamte nächste Jahr und sehr gut besucht – auch von dem interessierten Osloer Mann, den ich auf dem Marktplatz beim Fackelzug getroffen hatte. Hoffentlich hat er die Möglichkeit genutzt und sich am Ende der Tour direkt über einen kleinen Bildschirm vor Ort als ICAN-Mitglied eingetragen.

Vielleicht hatte Susi Snyder Recht, wenn sie sagt, dass wir angesichts der politischen Situation zwischen Nordkorea und den USA wirklich kurz vor einem Atomkrieg stehen, aber ich denke Beatrice Worte sind mindestens ebenso wahr: „We are now closer than ever, to the end of nuclear weapons!“ (Beatrice Fihn beim Nobelpreis-Konzert)

Franca Brüggen ist internationale IPPNW-Studierendensprecherin und ICAN-Mitglied