Hunderte Flüchtlinge warten seit Wochen vor dem Berliner Landesamt für Soziales und Gesundheit auf ihre Registrierung. Einen Krankenschein haben sie nicht. Freiwillige Ärzte, Studenten, Hebammen und Krankenschwestern leisten „erste Hilfe“. Die IPPNW-Ärztin Aja Lüchtrath hat die Flüchtlinge drei Monate lang versorgt. Jetzt hat sie sich aufgrund der Bedingungen vor Ort erst einmal eine Auszeit genommen. Am Wochenende findet eine Abstimmung der ehrenamtlichen GesundheitsarbeiterInnen statt, bei der das zukünftige Vorgehen festgelegt wird.
Drei Monate habe ich bis zu 40 Stunden in der Woche ehrenamtlich in der medizinischen Flüchtlingsversorgung auf dem Gelände vor dem Berliner Landesamt für Soziales und Gesundheit in Haus C, in der „ersten Hilfe“ gearbeitet. Dort werden Flüchtlinge versorgt, die noch nicht registriert sind und somit noch keine „grüne Karte“ haben, den Krankenschein für Flüchtlinge, der ihnen den Zugang zur kassenärztlichen Versorgung ermöglicht. Wenn ein Flüchtling bereits einen grünen Schein, aber ein hochakutes, medizinisches Problem hat, wird er selbstverständlich bei uns mitversorgt.
Das Team vor Ort besteht in der Regel pro Tag aus sechs ÄrztInnen, vier Kankenschwestern, 3-4 Hebammnen und zahllosen ÜbersetzerInnen aller Sprachen. Eine Koordinatorin wurde als hauptamtliche Kraft von der Caritas eingesetzt. Sie ist die Einzige, die bezahlt wird.
Pro Tag behandelten wir ca. 150-200 PatientInnen. Dazu stehen zwei Räume zur Verfügung, die durch einen Flur verbunden sind, wo die zahlreichen PatientInnen auf ihre Behandlung warten. Vor drei Monaten fand die Versorgung noch in einem Zelt statt. Am Eingang zu Haus C sitzt eine Krankenschwester oder MedizinstudentIn, die mit Hilfe eines oder mehrerer Dolmetscher eine Kurzanamnese erhebt, die auf einen Zettel geschrieben wird, zusammen mit einer Wartenummer, die der/die PatientIn in die Hand bekommt, nach der aufgerufen wird.
Im ersten Behandlungsraum behandeln in der Regel drei Ärztinnen parallel. Es gibt Stellwände, die einen Bereich abgrenzen, damit wir unbekleidete Personen vor den Blicken der anderen schützen konnten. Zudem gibt es mehrere Stühle, auf denen weitere PatientInnnen , die sich nicht entkleiden müssen, behandelt werden und zwei Schreibtische. An dem einen wird dokumentiert. Dort liegt die Liste für benötigte Medikamente aus, hier stehen mehrere Ordner, in denen wichtige Informationen abgeheftet werden, u.a. die kopierten Härtefälle. Auf dem zweiten Tisch befindet sich alles, was für eine Akutversorgung erforderlich ist: Fieberthermometer, Otoskop, Blutzuckermessgeräte, Urinsticks, Blutdruckmessgerät, Tupfer, Lanzetten, etc. Im Raum befinden sich außerdem diverse Regale, in denen Medikamente und Verbandsmaterial einsortiert sind. Einige Kartons stehen auf dem Boden, weil die Lagerfläche nicht ausreicht.
Der zweite Behandlungsraum ist für KinderärztInnen, Hebammen und Zahnarzt gedacht. Dort stehen zwei Behandlungsliegen, ein Zahnarztstuhl und mehrere Regale, seit Neustem auch ein Kopierer, der die Arbeit ungemein erleichtert (Härtefälle).
Seit einigen Wochen besuchte uns zudem das Gesundheitsamt zweimal pro Woche. Sie erschienen in der Regel zu zweit und erhoben immer absurdere Forderungen. So sollten z.B. keine Kartons auf dem Boden stehen, damit die Fläche gewischt werden kann. Wir sollten keine Flaschen Handdesinfektionsmittel benutzen, sondern Spender, die an der Wand festgemacht sind, damit sie mit Ellenbogen bedient werden können. Wir müssten den Lagerraum putzen, etc., etc.
Wir, ÄrztInnen, Krankenschwestern und Hebammen sind alle berufserfahren und in Hygiene ausgebildet. Wir machen keinerlei körperliche Eingriffe in der Ambulanz, keine Injektionen, keine Nähte bei Platzwunden, keine Abszesseröffnungen. Verbandswechsel und körperliche Untersuchungen bedürfen auch der Hygiene in den Räumen. Diese Hygiene wird von allen auch zum Eigenschutz eingehalten. Wir haben den Eindruck, dass die Notlösung der ersten Hilfe für Flüchtlinge institutionalisiert wird. Es gibt inzwischen die Forderung von Seiten des Gesundheitsamtes, dass eine hauptamtliche Hygienebeauftragte von der Caritas bezahlt werden soll.
Die Lösung, dass endlich ÄrztInnen hauptamtlich in der Medizinischen Flüchtlingsversorgung arbeiten ist in Sicht. Die Charité hat vom Senat den Auftrag erhalten, die Koordination der medizinischen Versorgung vor Ort zu übernehmen. Es gibt jetzt das Problem, dass dieser Auftrag vom Senat bereits an die Caritas vergeben wurde. Die ehrenamtlichen ÄrztInnen sind mit der Charité in Verhandlung, wie es jetzt weitergehen wird.
Adelheid Lüchtrath ist IPPNW-Mitglied und Fachärztin für Allgemeinmedizin, Akupunktur und Naturheilverfahren.