Die Global Health Summer School in Kilifi, Kenia
Mitten in der Lernzeit für mein 2. Staatsexamen kam plötzlich eine unerwartete E-Mail über den IPPNW-Studierenden-Verteiler mit dem Hinweis auf eine Global Health Summer School in Kenia. Gar nicht so schlecht, dachte ich, und schon war meine Bewerbung abgeschickt (und über die nächsten Lerntage wieder vergessen).
Dann kam im April die Zusage – und plötzlich die Unsicherheit, ob ich wirklich zwei Wochen lang in meinem Praktischen Jahr statt Urlaub zu machen lieber zu einer Summerschool fahren möchte. Doch die Neugier siegte, die Flüge waren gebucht und Anfang Juli stieg ich in den Flieger Richtung Süden.
In Kilifi trafen dann 14 kenianische Studenten aus verschiedensten Ecken des Landes, einer aus Uganda, zwei aus Finnland und ich aus Deutschland zusammen, um eine Woche lang ein ziemlich vollgepacktes Programm zu bestreiten. IPPNW-Mitglied Daniel Motunga, der den Global Health Summer in Kenia – inspiriert durch eine Teilnahme am IPPNW-Studierendenaustausch-Programm – initiierte, führte uns mit Herz und Seele durch die Woche.
Die ersten Tage waren geprägt von Vorträgen verschiedener Professoren und Ärzte der Pwani-Universität, wo unsere Kenntnisse zu tropischem Fieber und dessen vielfältigsten Ursachen aufgefrischt wurden. Nachmittags ging es dann entweder ins Labor der Universität oder des lokalen Krankenhauses, wo Stuhlproben nach Wurmeiern oder Malaria-/HIV-Test demonstriert wurden. Schon in diesen ersten Tagen kamen wir so mit der medizinischen Wirklichkeit in einem doch immer noch stark von Korruption geprägtem Land in Kontakt. Hochmotivierte und ehrgeizige Ärzte zeigten uns mit welch einfachen Mitteln sie Diagnosen stellen können. Und trotzdem sind oft selbst diese Basistests für viele Patienten finanziell eine Herausforderung.
Genau diese Problematiken gerieten gegen Ende der Woche immer mehr in Fokus. Mit Dr. Azra und Dr. Hellen Barsosio, letztere eine überaus engagierte IPPNWlerin, hatten wir zwei herausragende Expert*innen, die ihr Herz und ihre Seele in kontroverse Themen des kenianischen Gesundheitssystems stecken. So wurden provokative Fragen zu sozialen Determinanten von Gesundheit (Spielt Stammeszugehörigkeit und Tradition immer noch eine Rolle?), mentale Gesundheit in Bezug auf Drogenabhängigkeit (Ist jemand freiwillig drogenabhängig? Verdient er es, stigmatisiert zu sein?) und Frauensterblichkeit (Warum sterben immer noch so viele Frauen während oder an Folgen der Geburt – obwohl es mittlerweile fast flächendeckende und meist kostenlose Schwangerschaftsvorsorgen und –begleitung gibt?) auseinander genommen. Da waren nicht nur die mitgebrachten Statistiken interessant, sondern auch die verschiedenen Sichtweisen von uns Studenten, abhängig, welchen sozialen und religiösen Hintergrund wir hatten.
Und genau hierzu möchte ich Dr. Barsosio zitieren: “Wer als Arzt arbeitet, der soll beim Betreten des Krankenhauses seine religiösen Überzeugungen wie einen Hut draußen aufhängen. Dann kann man hineingehen, arbeiten – und auf dem Nachhauseweg den Hut wieder aufsetzen”. In einem so stark christlichen Land wie Kenia, wo an der Küste sehr viele Muslime wohnen, und ein Großteil der Bevölkerung an überlieferte Traditionen und Werte der Vorfahren ihrer Stämme glauben (z.B. ist weibliche Genitalverstümmelung auch hier ein aktuelles Problem), hat diese Aussage eine große Bedeutung. Doch auch bei uns in Deutschland verliert sie meiner Meinung nach nicht an Relevanz.
Doch zurück zur Summerschool. Ein Höhepunkt war ein sog. Fieldtrip, wo wir in Matatatus ins Landesinnere fuhren um in einem Dorf eine Lepra-Patientin mit ihrem ebenfalls erkrankten Sohn zu besuchen. Abgerundet wurde die Woche mit einer Bootsfahrt durch die Bucht Kilifis, klassisch bei Sonnenuntergang – und obwohl sie Nichtschwimmer sind, waren alle Kenianer mit dabei. So konnten wir noch einmal gemeinsam Durchatmen, nach den doch sehr intensiven fünf Tagen. Das Team um Dr. Mutonga hat sich unglaubliche Mühe gegeben, ein volles Programm auf die Beine zu stellen und somit einen Einblick in das kenianische Gesundheitssystem mit all seinen Herausforderungen zu geben. Doch darum herum lag ihnen auch vor allem am Herzen, junge Menschen aus aller Welt zusammen zu führen, diese vertraut mit einer doch sehr anderen Kultur zu machen und Neugier zu wecken. Das hat in meinen Augen äußerst gut geklappt – und das, obwohl die Summerschool erst zum zweiten Mal stattfand. Und es lohnt sich, die Organisation im Auge zu behalten – im nächsten Jahr soll es nämlich u.a. auch eine Summerschool zu ‚Sexual Health‘ geben. Wer weiß, vielleicht ist ja jemand von uns Studierenden dabei?
Julia Kilian ist Medizinstudierende an der Universität Lübeck und IPPNW-Mitglied.
Ich finde es großartig, sich mit der Sichtweise von Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern und Personen aus anderen Kulturen so früh auseinander zu setzen. Dafür erst einmal Julia herzlichen Dank. Die eine Aussage, man sollte den “Hut seiner religiösen Überzeugung” am Eingang zum Krankenhaus an den Nagel hängen und beim herausgehen wieder aufsetzen. Theoretisch sich in einer liberalen demokratischen Gesellschaft wie der unsrigen sinnvoll, ist dies allerdings wirklich umsetzbar und bleibt nicht religiöse Überzeugung und kulturelle Überzeugung wie an der Kopfhaut immer kleben? Und sind nicht unsere Überzeugungen von Menschenrechten nicht auch westlich, kulturell und religiös einseitig geprägt? Ich wäre vorsichtig mit solchen generellen und generalisierenden Forderungen. Elu