Gesundheit in Gefahr? Die Sparpolitik der EU

Dr. Katja Goebbels ist Ärztin und seit 2013 Mitglied des IPPNW-Vorstandes

Dr. Katja Goebbels ist Ärztin und seit 2013 Mitglied des IPPNW-Vorstandes. Foto: Xanthe Hall/IPPNW

Was für Auswirkungen hat die Sparpolitik auf die Gesundheit der Menschen in Südeuropa? Und wer ist Schuld? Welche Interessen verfolgt die Troika und warum? Was kann getan werden, um die negativen Folgen der Sparpolitik für die Menschen zu stoppen?

Diese Fragen beschäftigten ca. 50 Menschen meist jüngeren Alters, die unsere mit dem Institut für Sozialmedizin gemeinsam vorbereitete Podiumsdiskussion „EU-Austerity Policy: Health at Risk?“ besuchten, die im Rahmen der IPPNW-Global Health Summer School stattfand.

Zunächst präsentierte Gonzalo Fajul (Barcelona Institute for Global Health, ISGlobal) aus Spanien die großen Zusammenhänge: Die Krise selbst hat dazu geführt, dass viele Menschen ihre Kredite nicht mehr bedienen konnten, weil sie arbeitslos wurden und so z. B. ihre Häuser aufgeben mussten. Einsparungen des Staates führen über Leistungskürzungen im Bereich Gesundheit (Personal, Krankenhäuser) und z. B. Arbeitslosenhilfe zu finanziellen Belastungen der Familien und entsprechendem Stress. Die Gesundheit und besonders die Prävention leiden, Kinder werden nicht mehr bei Vorsorgeuntersuchungen vorgestellt, Impfungen nicht durchgeführt, Migranten nicht mehr gesundheitlich versorgt. Der zunehmende Stress führt zur Zunahme an chronischen, insbesondere psychischen Erkrankungen.

Apostolos Veizis (Médecins Sans Frontières) untermauerte diesen theoretischen Rahmen mit harten Daten aus Griechenland: Erstmals seit 40 Jahren kam es nach der Krise in Griechenland wieder zu einem Malariaausbruch, zu mehreren Ausbrüchen von West-Nil-Fieber, die HIV-Infektionen und Tuberkolose-Fälle nehmen zu, wobei sich der volle Umfang dieser Zunahme erst im Lauf der Jahre zeigen wird. Die Suizidrate und die Zahl der psychisch Kranken steigt sowie die Zahl derer, die keine Krankenversicherung haben. Zuvor waren diese Probleme nur unter den Immigranten und „Papierlosen“ bekannt, nun treffen sie zunehmend auch Griechen, die ihre Krankenversicherung aufgrund von Arbeitslosigkeit verlieren.

Die im Raum stehenden Vorwürfe an die deutsche Politik, maßgeblich für die Entwicklungen in Südeuropa verantwortlich zu sein, wies Ortwin Schulte vom Bundesministerium für Gesundheit mit Verweis auf die Eigenverantwortlichkeit der Regierungen der betroffenen Staaten zurück. Es ginge zudem um die Stabilisierung des Euros, die ja in unser aller Interesse läge. Zudem spiele im Fall Griechenland die Korruption im Gesundheitswesen eine große Rolle, andere Länder wie z. B. Irland hätten vergleichbare Einschnitte deutlich besser weggesteckt. Mit einem Gesundheitsbudget von 6 % BIP könne man gut zurecht kommen – in Deutschland sind es 11 %, in den USA bei 17 %. Schulte räumte zwar ein, dass die Gelder des Rettungsschirmes an die europäischen Banken fließen und damit der Stabilisierung des Finanzsystems dienten, aber die EU hätte für die Versorgung nicht Versicherter der griechischen Regierung zusätzliche Mittel außerhalb des Rettungspaketes zur Verfügung gestellt.

Von Apostolos Veizis wurde angemerkt, dass die EU und die Bundesregierung mit einer Regierung zusammenarbeite, die nicht das Vertrauen des Volkes habe. Mit derselben Regierung, die für Korruption verantwortlich (gewesen) sei, wolle sie nun Korruption bekämpfen. Es ginge erst einmal darum Menschenleben zu retten und Reformen im Kontext anzugehen. Er merkte an, dass die derzeitigen Einschnitte und Reformprogramme ohne hinreichende Evidenzbasis und Klärung des Reformbedarfs erfolgten. Fajul verwies auf die Bedeutung sozialer Stabilisatoren in der Krise wie soziale Absicherung, wie sie Deutschland während der Krise angewandt habe (Kurzarbeitergeld, Arbeitslosenversicherung etc.). In Griechenland z. B. hätten die traditionell starken Familienbande vieles aufgefangen, was staatliche Verantwortung und Aufgabe sei.

Lösungsansätze wie eine Aufstockung der Sozialausgaben und Kürzungen bei den Rüstungsausgaben gibt es, sie sind aber anscheinend nicht gewollt. Mehr Druck auf die Politiker, ihre kurzfristige, auf eine reiche Minderheit (Banken, Konzerne, etc.) ausgerichtete Politik zu Gunsten einer langfristigen, auf das Wohlergehen der Gesamtbevölkerung und damit auch auf ihre Gesundheit zielende Politik zu verändern, wäre mehr als nötig!