
Elmar Altvater, IPPNW-Beiratsmitglied, Foto: Fiona Krakenbürger/attac Deutschland
von Elmar Altvater
Was unterscheidet Occupy in den USA, in London oder Frankfurt heute von der Hausbesetzer-Bewegung der frühen 1980er Jahre in Berlin?Was von den Landbesetzungen in Brasilien durch die Bewegung der Landlosen? Oder von den Arbeitern, die 2001 in Argentinien arbeitslos wurden und ihre Betriebe in Besitz genommen haben? Oder von den Indigenen in Bolivien, die die transnationalen Gas- und Wasserkonzerne aus ihren Territorien hinausgeworfen und 2008 eine linke Regierung an die Macht gebracht haben?
Immer werden Räume angeeignet, die der Bevölkerung in einem globalen Prozess der „Akkumulation durch Enteignung“ von Banken und Spekulanten, von traditionellen Kapitalisten und modernen „Finanzinvestoren“ genommen worden sind. Die Bewegungen kämpfen also nicht nur um Geld, um Löhne und Sozialleistungen, sondern gegen die Privatisierung öffentlicher Güter, um die Allmende. In Lateinamerika werden sie daher als „sozioterritoriale Bewegungen“ bezeichnet.
Die Zelte von Occupy sind das Symbol des Igels im Wettstreit mit dem Hasen. Die Igel in ihrer Vielzahl – die ominösen 99 Prozent – sind immer schon da. Das geht leicht, auch weil sie wenig Ballast mitschleppen, keine dicken Bankkonten, aber auch keine Parteiprogramme, Deklarationen, Theorien. Das ist erfrischend, welkt aber schnell, wenn nicht doch Theoriearbeit geleistet wird, Zielvorstellungen auf ihre Realisierbarkeit überprüft und Strategien der organisierten gesellschaftlichen Veränderung ausgearbeitet werden.
Das ist das Gewicht der Tradition beim stürmischen Aufbruch von Occupy. Das Gewicht stabilisiert aber auch. Es sorgt zum einen dafür, dass Occupy nicht abhebt. Zum anderen hält seine Trägheit Occupy in Bewegung, auch wenn die erste Begeisterung abebbt. Theorie bietet Orientierung, wenn das Verhältnis zu anderen Bewegungen bestimmt werden soll, zu ATTAC, zu den Gewerkschaften, zu politischen Organisationen. Irgendwann geht der schöne Frühling der lockeren, neugierigen und unkomplizierten Umgangsformen zu Ende. Dann muss sich Occupy zwar „positionieren“ und doch eine lebendige und erfolgreiche Bewegung gegen erstarrte Verhältnisse bleiben.
Elmar Altvater ist Professor für Politikwissenschaft, Autor und neues Beiratsmitglied der IPPNW Deutschland.