
Jodanienreise im Dezember 2014. Foto: Dr. med. Renate Marx-Molière/IPPNW
Eine Woche in Jordanien in einer Gruppe von 18 Menschen, die sich auf Kultur, Archäologie, Geschichte und Wüste eingestellt haben. Aufbruch im Schneetreiben vom Flughafen Frankfurt am 27. Dezember 2014. Ankunft in der Dunkelheit im hochmodernen Queen-Alia-Airport Amman.
Wir werden nahtlos in die Obhut eines Repräsentanten der lokalen Agentur gegeben. Freundlichster Empfang durch einen smarten Jordanier mit unüberhörbarem Hamburger Dialekt, der alle Pässe einsammelt und unsere Visen besorgt. Und dann geht es in den kuschelig-warm beheizten Bus. Hier wartet schon Adnan, an dessen Herzlichkeit und Zuneigung zu Jordanien in der Reisewoche keiner vorbeikommen wird.
Er spricht wunderbar Deutsch, manchmal mit sehr kreativen Eigenschöpfungen, und natürlich Arabisch und beginnt noch auf dem Weg ins Hotel mit der Vermittlung erster Worte in der Landessprache. Erste Eindrücke bei der Fahrt in die Hauptstadt. Die neue saudi-arabische Botschaft, modern, minimalistisch und edel. Schnelle Erdung hinter der nächsten Auffahrt vor einer neuen Brücke: Ikea Jordanien grüßt und wenige hundert Meter weiter Starbucks, bevor es in die einfachen Stadtviertel geht.
Müde noch ein erstes reichhaltiges Nachtmahl der fleißigen Köche des Hotels Toledo in Amman und dann ein sehr kurzer Schlaf mit erstem Weckruf durch den Muezzin am frühen Morgen. Dann geht es los durch die kalte, graue Stadt weiter zur alten Zitadelle. Hier wird neben den Mauern des Herkulestempels und des Omajadenpalastes sowie einer byzantinischen Kirche auch der Blick auf das Neubaugebiet und die Hochhäuser am Horizont frei, die gerade gebaut werden. Kalter Wind, grauer Himmel und Nieselregen zwingen dazu, noch eine Kleidungsschicht aufzulegen. Auch viele Menschen in der Stadt frieren. Ende der Woche soll es Schnee geben.
Auf dem Weg nach Süden erfahren wir Grundsätzliches über das Land. Für mich eine Sehens-Würdigkeit: Drei Millionen Menschen leben in Jordanien, davon eine Million Flüchtlinge, sehr viele Palästinenser und jetzt jeden Tag weitere Menschen, die aus Syrien kommen müssen. Und die Grenzen sind weiter offen! Auch in der Mitte und im Süden sieht man sie immer wieder, Menschen in zerfledderten UNHCR-Zelten an Straßen, und auf trockenem Böden ohne Strom, ohne fließendes Wasser. Gekocht wird im Feuer.
Nach Stationen in Umm al Rasas, Karak, Ma An und der Nabatäerstadt Al Batra verbringen wir Zeit in Klein Petra. Viele der Beduinen, die hier arbeiten, leben inzwischen in Dörfern mit Schulen, Wasser und Elektrizität. Wir sehen ein kleines Sonnenkollektor-Areal.
Obwohl alle bis 15 Jahre schulpflichtig sind, gehen viele Kinder nur zwei oder drei Tage pro Woche zur Schule. Sie arbeiten mit allen Familienmitgliedern, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Kindergärten gibt es praktisch nicht. Wenn überhaupt, nur für Angehörige des öffentlichen Dienstes, außerdem muss dafür gezahlt werden. Bis zu 200 Jordanische Dinar im Monat (etwa 250 Euro): Das kann sich in der Regel keine Familie leisten.
In Rum entscheiden wir, was die Jeeps mitnehmen. Wir haben nur unser Tagesgepäck dabei und laufen los. Adnan spricht mit Hamed – er ist jetzt unser Navigator in der Wüste. Sein Business-Management-Studium hat er abgeschlossen und hofft auf einen Job ab Februar – inschallah.
Die Nacht sollen wir in Zelten schlafen. Meine Mitbewohnerin und ich übernachten unter freiem Himmel unter endlos vielen Sternen. Unser Zelt lässt sich ohnehin nicht schließen. Der Vater von unserem Koch Omar hat im Jeep Schaumgummimatten mitgebracht. Die nächtliche Bodenkälte erreicht uns nicht und der Schlafsack ist wüstentauglich.
Wir gehen weiter und erreichen am Silvestertag unseren Nachtplatz nicht erst in der Dämmerung. Unser Essplatz ist unter einem Felsvorsprung. Omar kocht und werkelt schon lange für das Festmahl: Mansaf (Lammfleisch, Joghurt, Reis und Kräuter).
Mit der Dunkelheit kommt Leben ins Camp. Motorengeräusche: Die Motorhaube des Jeeps wird geöffnet, die Batterie mit einen Starthilfekabel angezapft, so dass ein kleines Licht und ein Keyboard-Synthesizer angehängt werden können. Zu den Klängen der Oud (Kurzhalslaute) wird gesungen, geklatscht und auch getanzt.
Omar und sein Vater kommen auch zum Feuer. Omar meint, das sei Gastfreundschaft – man müsse alles geben, was man hat. Wir kommen ins Nachdenken und sind uns einig: Geben lohnt sich immer – es ist nie umsonst, auf der Welt geht nichts verloren. Nicht aufhören mit dem Geben, das steht in unserem Koran, meint Omar. Nicht nur im Koran.
Ich laufe früh herum gegen die Kälte und nütze das Abbauen der Zelte als wärmendes Workout. In mir spüre ich keinen Drang, in die Zivilisation zurück zu kehren. Nach einem perfekten Frühstück räumen wir die Wüste auf und die letzte Wanderung steht an, der Rückweg nach Rum. Wir haben uns schweren Herzens von Omar und seinem Vater verabschiedet.
Je näher wir kommen, desto häufiger hören wir auch die Jeeps, schließlich sehen wir sie, dann die große Funkantenne und die Häuser. Auf den letzten befestigten Metern der Straße wartet schon der Bus mit dem besten Fahrer von ganz Jordanien.
Wir fahren zur Wüstenautobahn und weiter nach Akaba. Ein leckeres Falafelbrot am Hafen und kurzer Stopp in der Sonne. Es ist Wochenende und Feiertag und die flanierenden Familien haben sich so schick gemacht wie möglich, dazwischen wir, verstaubt, ungewaschen. Das wird mit freundlicher Toleranz ertragen.
Wir fahren noch weiter nach Süden. Das Hotel liegt acht Kilometer vor der saudi-arabischen Grenze. Was für ein Gegensatz. Vor dem Einchecken Sicherheitscheck wie am Flughafen, dann ein Zimmer mit Poolblick, mindestens 15 mal so groß wie unsere Zelte waren.
Die Krönung: Duschen, und dann an den Strand. Und später nach dem fürstlichen Mahl auf in die Souks nach Akaba mit dem kleinen Shuttle-Bus: Die Männer sind in der absoluten Mehrheit, alle all-inclusive mit Smartphones. Wir steigen bei der Al-Sharif-Al-Hussein-bin-Ali-Moschee aus und dann begeben wir uns ins Gewimmel. Was man alles kaufen kann! Ohne zu probieren kann man keinen Stand verlassen. Mitten im Laden sitzt ein eindrucksvolles Paar: Sie mit himmelblauen Augen und langen Wimpern aus Wien, er kommt wie Omar Sharif im Film „Zimt und Koriander“ aus Akaba. Keine Ahnung, wie es kommt, aber nach wenigen Minuten sprechen wir über die Westbank. Er spricht Deutsch und berichtet, dass er Anfang der 70er Jahre in Dortmund studiert habe: „Meine Frau kommt aus Hebron.“ Er weint: „Wir dürfen dort nicht hin“.
Einer von über 800.000 Menschen aus Palästina, die vertrieben wurden und inzwischen die jordanische Staatsangehörigkeit besitzen. Eine Grundlage zum Überleben, aber die Heimat fehlt für immer. Und der Blick, nur der Blick geht hinüber nach Elat/Israel. Was denken die Menschen in Elat? Später Ausstrecken in einer riesigen Bettlandschaft. Ich denke an die Schlichtunterkünfte der Familien in Rum, und die Menschen in den zerfledderten UNHCR-Zelten, ganz in der Nähe.
Auf dem Weg weiter nach Norden passieren wir einen Checkpoint (wegen der Sicherheit an der langen israelisch jordanischen Grenze? Only in heaven there are no checkpoints…
Schon am frühen Nachmittag erreichen wir den Platz für unsere letzte Nacht. Wieder ein riesiges Zimmer mit Terrasse und Poolblick. Auf dem Weg zum Strand können wir uns Handtücher holen. Der Blick reicht bis zur Westbank. Wie weit ist es bis nach Jerusalem? 30 Kilometer Luftlinie? Ich denke an alle Menschen, die ich im Frühjahr 2014 in der Westbank kennenlerne durfte. Wer von ihnen bekommt eine Genehmigung für irgendein Meer? Das Tote Meer sieht aus wie ein Silbersee. Der Wind wird kalt und mich fröstelt. Mir fällt der traurige Satz aus Akaba wieder ein: „Wir dürfen nicht mehr nach Hebron.“
Am nächsten Morgen ist es viel zu früh fürs Aufstehen, fürs Sortieren, fürs Frühstück, überhaupt viel zu früh, Jordanien zu verlassen. So vieles konnten wir in einer Woche nicht sehen. Wir waren z.B. nicht im Norden, in den immer mehr Menschen aus Syrien kommen. Sie brauchen alles, auch medizinische Hilfe, ein Dach über dem Kopf, Essen, Schulen, Menschenwürde.
Was passiert mit den Menschen, die schon immer in Jordanien leben? Die Mehrheit hat keine Krankenversicherung, die Arbeitslosigkeit wächst, die Lebensbedingungen verschlechtern sich. Wird Jordanien zum Auffanglager für alle, die dem Krieg und der Rechtlosigkeit entfliehen müssen? Und was passiert, wenn die Hilfsbereitschaft den Grad der eigenen Erschöpfung überschritten hat? Halten das Land und seine Menschen den Kopf hin für die Kriege und Völkerrechtsverstöße?
Um mich herum wird gefrühstückt, gelacht. Das erreicht mich nur wie durch einen Schleier. Kaffee ist in Ordnung, aber ich kann nichts essen. Noch ein ausgesprochener Gedanke beschäftigt mich: Komm wieder! Solche Leute brauchen wir hier. Du musst Arabisch lernen und in einem syrischen Flüchtlingscamp arbeiten…
All das geht mir auf der Fahrt zum Flughafen durch den Kopf. Dann der Abschied, und dann sind wir wieder in der künstlichen Welt. Duty-Free Shops, ein letzter Kaffee und ein Blick auf Jordanien.
Im Flugzeug ein Fensterplatz: Aus der Luft ist der Blick auf den verhungernden Jordan frei und das sterbende Tote Meer (wahrscheinlich wird es am Ende namenlos). Die vertrocknenden Landgebiete in der Westbank fallen auf und die sattgrünen Gebiete auf israelischen Territorium. Auch das ist Anschauungsunterricht ohne Worte.
Dr. med. Renate Marx-Molière ist IPPNW-Ärztin. Vom 29. April bis 10. Mai 2014 hatte sie bereits an der Begegnungfahrt Palästina/Israel von IPPNW und pax christi teilgenommen.
Ein wunderbar geschriebener Reisebericht über Kultur, frohe und traurige Menschen, freie und umzäunte Landschaft, Luxus und Not, Mitgefühl und Sorgen um die liebenswerten Menschen in Jordanien und die vielen Flüchtlinge aus Syrien, denen man so gern helfen möchte.