Die russische Umweltschützerin und Atomkraftgegnerin Olga Podosenowa, Sprecherin der Umweltgruppe „Ecodefense“ in der Stadt Ekaterinburg am Ural, lebt gerade einmal 60 km von der geschlossenen Stadt Nowouralsk entfernt. Nach Nowouralsk gelangte zwischen 1996 und 2009 abgereicherter Atommüll aus Gronau in NRW. Insgesamt schickte Gronau in diesem Zeitraum 27.000 Tonnen Atommüll in vier russische Städte. Wie viel davon nach Nowouralsk gelangte, ist jedoch ein Geheimnis. Recherchieren lässt sich diese Frage in Nowouralsk nicht, ist dies doch eine geschlossene Stadt, die nicht einmal russische Staatsbürger betreten dürfen.In einem Gespräch beschrieb mir Frau Podosenova die schwierigen Arbeitsbedingungen russischer Umweltschützer und erklärte, warum Russlands Umweltbewegung dringend der Solidarität ihrer westlichen PartnerInnen bedarf.
Frau Podosenova, Sie leben in unmittelbarer Nähe der Stadt Nowouralsk, einer von vier russischen Städten, in der abgereichertes Uran aus Gronau in Nordrhein-Westfalen gelagert wird. Seit wann wissen Sie, dass in Ihrer Nachbarstadt deutscher Atommüll liegt?
2004 hat unsere Gruppe „Ecodefense“ von unseren europäischen Kollegen erfahren, dass bereits seit 1996 Transporte mit abgereichertem Uran in das „Elektrochemische Kombinat Ural“ in meiner Nachbarstadt Nowouralsk, einer geschlossene Stadt, gehen. Angeblich zur Weiterverarbeitung, tatsächlich aber einfach zur Lagerung. Und nur 10% des nach Nowouralsk gelieferten Materials wurden nach Deutschland zurückgeliefert, der Rest bleibt vor Ort liegen, wo er unter offenem Himmel gelagert wird. Kaum hatten wir von diesen Transporten erfahren, gingen wir an die Öffentlichkeit. Wir organisierten Camps in unmittelbarer Nähe der Orte, die Atommüll aus Deutschland aufgenommen hatten: in Angarsk, Tomsk und der Nähe von Nowouralsk. Umweltschützer in Deutschland und Russland wandten sich gleichzeitig an die zuständigen Staatsanwaltschaften, wir protestierten vor der deutschen Botschaft und deutschen Konsulaten.
In welchem Zustand befindet sich dieser Müll?
Der Müll lagert in Nowouralsk. Nowouralsk ist eine geschlossene Stadt, da ist Stacheldraht außen herum, auch russische Staatsbürger können diese Stadt nur mit einer Sondergenehmigung besuchen. Und so eine Sondergenehmigung haben weder wir Umweltschützer noch unabhängige Experten bekommen. Vor diesem Hintergrund wandten wir uns an die zuständige Staatsanwaltschaft, forderten diese auf, herauszufinden, wie der Müll lagere. Und 2006 erhielten wir eine Antwort von der Staatsanwaltschaft, die nicht sehr beruhigend ist. Man habe, so die Staatsanwaltschaft des Gebietes Swerdlowsk, festgestellt, dass technische Vorschriften zur Lagerung verletzt worden seien, und habe die Verantwortlichen aufgefordert, diese Mängel zu beheben. In der Folgezeit bemühte sich die Betriebsleitung, die Bevölkerung zu beruhigen. Es gebe, so die Firmenleitung, kein Grund zur Beunruhigung. Doch wir können das nicht nachprüfen und wir glauben ihnen auch nicht. Wir gehen vielmehr davon aus, dass der Müll nach wie vor in rostenden Containern unter freiem Himmel lagert.
Und wer ist für die Lagerung des deutschen Uranhexafluorid in Nowouralsk verantwortlich?
Formal tragen die Verantwortung das zuständige Werk und dessen Besitzer. Wir sind jedoch der Auffassung, dass die Verantwortung für diesen Müll gleichermaßen auf deutscher und russischer Seite liegt. Schließlich hat sich da die deutsche Seite durch den Müllexport elegant eines Problems entledigt, das wir nun vor unserer Haustüre haben. Urenco hat seine Probleme auf dem Rücken der Menschen und der Gesundheit der Menschen der Uralgegend gelöst.
Und was will die Umweltbewegung am Ural? Wollen Sie, dass der Müll wieder nach Deutschland zurücktransportiert wird?
Zunächst einmal wollen wir die Garantie, dass derartige Verträge nicht mehr geschlossen werden dürfen. Doch das reicht uns nicht. Die Atomkonzerne von Russland und Deutschland müssen sich ihrer Verantwortung bewusst werden und sich des Problems des Mülls annehmen. Sie sollen endlich aufhören, die Bevölkerung glauben zu machen, das sei ein „strategischer Wertstoff“. Sie sollen Atommüll auch als solchen bezeichnen und sich um Technologien bemühen, die diesen Müll, der chemisch hochgiftig ist, so umwandeln, dass zumindest die chemische Gefahr verringert wird. Zur Erinnerung: Uranhexafluorid wird bereits bei 57 Grad gasförmig. Und dieses Gas ist, kommt es mit Wasser in Verbindung, schon in kleinen Mengen tödlich.
Wie sind Ihre Arbeitsbedingungen? Haben Sie Repressalien zu befürchten?
Immer wieder wirft man uns vor, wir würden mit unserer Arbeit die Wirtschaft schwächen. Das ist aber nicht wahr. Wir lieben unser Land, wollen frei sein von lebensgefährlichen Großprojekten, wollen eine Umwelt, in der wir unsere Kinder großziehen können.
Leider hat in der jüngsten Zeit der Druck auf unabhängige Gruppen zugenommen. Die Behörden lehnen es oft ab, unsere Aktionen an bestimmten Orten zu erlauben, erklären ihr Missfallen über unsere Transparente. Ich hoffe sehr, dass sie eines Tages begreifen werden, dass unsere Arbeit doch im Sinne unseres Landes ist.
Das Gespräch führte Bernhard Clasen.
Vor zehn Jahren habe ich die Stadt Novouralsk besucht. Ich hatte privaten Kontakt to Personen in dieser Stadt und sie haben mich in ihrem Auto durch die Grenzkontrolle geschmuggelt.
Einiges über Urananreicherung und deutsche Lieferung von verbrauchten Brennstäben, die im Ural neu angereichert werden sollten wurde mir erzählt. Da Novouralsk eine der wenigen Städte ist, die nach wie vor geschlossen sind, mus man davon ausgehen, dass das Bedürfnis der Geheimhaltung entsprechend groß sein muss.
Man sagte mir auch, dass Gerhard Schröder die entsprechenden Anlagen in Novouralsk besucht hätte.
Lange habe ich im Internet nach weiterer Information gesucht, da im dortigen Bekanntenkreis bestimmte Krankheiten vermehrt auftauchten. Ein jungen Polizist, der mir helfen sollte bei der Überführung meines Autos von Petersburg nach Yekaterinburg starb kurze Zeit später an Gehirntumor. Der Krankheitsfall sollte offenbar geheimgehalten werden, und die Person durfte erst nach großem Widerstand in eine Klinik nach Yekaterinburg gebracht werden. Aber auch dort wurde ihm nicht geholfen. Er starb innerhalb kurzer Zeit in Novouralsk in der Klinik.
Ich habe damals in Yekaterinburg und in Nizhni Tagil gearbeitet. Die Gruselgeschichten von Nizhni Tagil möchte ich gar nicht erst ansprechen. Ich möchte nur sagen, dass ich bei Ankunft in dieser Stadt unmittelbar Kreislaufprobleme bekam.
Ich weiß, das Russen sich über die hübschen Farben am Himmel über Nizhni Tagil lustig gemacht haben. Aber das war es nicht, was mich am meisten schockiert hat.
Über Mayak habe ich in einem Artikel eines deutschen Professors gelesen, der vor vielen Jahren in der DDR politische Demonstrationen mit gemacht hat und für fünf Jahre in russische Gefangenschaft geriet. Er erlernte dort die russische Sprache und hat nach Sammlung von Unmengen von Statistiken über die Umweletschäden und ihre Folgen in der russischen Bevölkerung geschrieben.
Entdeckt habe ich diesen Artikel in der Zeit als ich in einer weiteren, ehemals geschlossenen Stadt, Saratov, gearbeitet habe. Ich möchte erwähnen, dass ich im Auftrag des Bundesverwaltungsamtes in Russland gearbeitet habe. Informiert wurde ich über keine der genannten Gefahren. Zum Glück bin ich ohne meine Kinder, die inzwischen erwachsen waren, gereist.
Ich habe sehr angenehme Erfahrungen in Russland gemacht, aber ich habe auch die andere Seite kennen gelernt.
Für weitere Information wäre ich dankbar.
Die Umgebung von Tschernobyl ist ja als Sperrgebiet inkl. leerer Städte bekannt. Ich wußte nicht, dass es nch weitere “tote” Städte gibt. Ein Grund mehr..