Ökozid – eine katastrophale Folge von Atomwaffen

Der „Todessee“ Lake Karachay, in der Nähe des Mayak Atomkraftwerks in Chelyabinsk, bekannt als der verseuchteste Ort der Welt. Er enthält, Berichten zufolge, genug Strahlung um einen Menschen in einer Stunde zu töten.

Der „Todessee“ Lake Karachay, in der Nähe des Mayak Atomkraftwerks in Chelyabinsk, bekannt als der verseuchteste Ort der Welt. Er enthält, Berichten zufolge, genug Strahlung um einen Menschen in einer Stunde zu töten.

Im Laufe der vielen Jahre, in denen die IPPNW versucht hat, die Öffentlichkeit über die katastrophalen Folgen von Atomwaffen aufzuklären, haben wir uns vorrangig auf die Zerstörung von menschlichem Leben und Gesundheit konzentriert. Das überrascht nicht, schließlich sind wir eine ärztliche Organisation.

Seit einiger Zeit richtet die IPPNW ihre Aufmerksamkeit auch auf die ökologischen Folgen eines Atomkrieges – insbesondere auf Klimaveränderungen. Folgen, die zunächst auf die unmittelbar betroffene Region beschränkt zu sein scheinen, die letztendlich aber Auswirkungen für den ganzen Erdball haben und damit auch auf menschliches Leben und Gesundheit. Durch die Zusammenarbeit mit den Klimaforschern Alan Robock und Brian Toon können wir zeigen, dass ein relativ „kleiner“, regionaler Atomkrieg den Hungertod von Millionen von Menschen herbeiführen kann. Wir haben dies „nukleare Hungersnot“ genannt.

Als ich in Astana, Kasachstan war, lernte ich Polly Higgins kennen. Sie ist eine schottische Rechtsanwältin und organisiert eine Kampagne, die zum Ziel hat, das Verbrechen „Ökozid“ in die Liste der vom Internationalen Strafgerichtshof anerkannten Verbrechen gegen den Frieden aufzunehmen. Sie war nach Astana gekommen, um mit den Mitgliedern des „Parlamentarischen Netzwerks für Nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung (PNND)“  darüber zu sprechen, inwiefern Ökozid auch die Atomwaffen-Problematik betrifft. Und wie unseren Forderungen nach einem Übereinkommen über deren Abschaffung damit zusätzlich Nachdruck verliehen werden kann.

Uta Zapf, eine deutsche Bundestagsabgeordnete und Ko-Präsidentin der PNND, lud Polly am 26. Oktober 2012 nach Berlin ein, um mit anderen Abgeordneten über dieses Thema zu sprechen. Ich schaffte es, eine Gruppe interessierter Juristen für die Auseinandersetzung mit Pollys Ideen zu gewinnen. Wir erörterten den Begriff des Ökozids als solchen, seine Bedeutung und seine Geschichte. Und wir sprachen ebenso darüber, wie wir ihn nutzen könnten, um unsere Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen (ICAN/atomwaffenfrei.jetzt) voranzutreiben. Polly sprach außerdem über die Menschen, die sie bereits unterstützen, es sind vor allem junge Leute. Es ist eine Bewegung, die bereits sehr groß ist und rasch weiter wächst.

Ökozid ist, nach Pollys Definition, „die erhebliche Beschädigung, Zerstörung oder der Verlust von Ökosystem(en) eines bestimmten Gebietes durch menschliches Tun oder durch andere Ursachen in einem Ausmaß, das die friedliche Nutzung des Gebietes durch seine Bewohner stark einschränkt oder einschränken wird.“

Tschelyabinsk, Tschernobyl, Fukushima, Marshall Islands, Maralinga, Semipalatinsk, Hiroshima, Nagasaki, Kakadu, Wismut – wir könnten die oben genannte Beschreibung auf all diese Orte anwenden. Ein nuklearer Winter (das heißt ein Klimawandel ausgelöst durch einen Atomkrieg) ist die schlimmste vorstellbare Form von Ökozid. Das Szenario der „nuklearen Hungersnot“ wäre ebenfalls ein Ökozid.

Mit dem Bestreben ein Gesetz gegen Ökozid zu erwirken, geht es darum die andauernde Zerstörung unseres Planeten zu stoppen. Dabei ist das Problem Atomwaffen/Atomenergie eines von vielen – wenn auch eines der Weitreichendsten. Dazu kommt die in den meisten Gesellschaften die „alltägliche“ Umweltzerstörung durch die Gewinnung von Erdöl, Erdgas und Bodenschätzen, die Produktion von Treibhausgasen, die Abholzung von Wäldern, die Wasser- und Luftverschmutzung.

Die gegenwärtige internationale Rechtslage verurteilt lediglich Ökozid in Zeiten des Krieges, nicht zu Friedenszeiten. Ein Ökozid-Gesetz würde die Zerstörung von Ökosystemen kriminalisieren und die Grundlage für eine rechtliche Sorgfaltspflicht gegenüber unserer Umwelt schaffen. Personen mit strafrechtlicher Verantwortlichkeit als Vorgesetzter – Regierungsmitglieder, Staatsoberhäupter, Firmenchefs, Bankdirektoren etc. – würden zur Verantwortung gezogen werden können. Mit einem solchen Gesetz wäre es möglich – strikte Haftung vorausgesetzt – einem vorbestehenden Ökozid vorzubeugen bzw. Einhalt zu gebieten. Mit anderen Worten: Wir könnten damit beginnen, eine umfassende Grundvorsorge für die Gesundheit unseres Planeten zu schaffen.

Unsere Umwelt, deren Teil wir Menschen sind, ist eine lebende Einheit. Wir dürfen die Erde nicht als irgendein fremdes „Ding“ angesehen, das bis zum Äußersten ausgebeutet werden kann, nur um immer mehr Konsumgüter für uns herzustellen. Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes dabei unsere Fundamente aufzufressen, sie auszugraben und zu verbrennen, und wir vergiften die Luft, die wir atmen. Jene Strahlungsmenge, die die Menschheit mit mehr als 2000 Atomtests erzeugt hat und die täglich von immer mehr Atomreaktoren noch vergrößert wird, hat bereits auf heimtückische Weise Millionen von Krebserkrankungen hervorgerufen, hat sich in unseren Genpool eingeschlichen und dort Chaos angerichtet. Die katastrophalen Folgen der nuklearen Kettenreaktion existieren bereits, auch ohne dass der Atomkrieg, den wir alle in den 1980er Jahren gefürchtet haben, je eingetreten ist. Wir müssen endlich begreifen, dass das Problem Atomwaffen/Atomenergie Teil des größten Ökozids aller Zeiten, nämlich der Zerstörung unseres Planeten ist. Dieses Problem verlangt nach der Verschmelzung von Friedens- und Umweltbewegung, sie müssen gemeinsam mit geeinter, starker Stimme sprechen.

Aus meiner Sicht müssen wir unsere Botschaften verknüpfen und dabei ein gemeinsames Vokabular verwenden. Deshalb benutze ich den Begriff „Ökozid“, wenn ich von den katastrophalen humanitären Folgen von Atomwaffen spreche, und sage nicht einfach „Auswirkungen auf die Umwelt“. Das Ausmaß der Folgen erfordert diese Terminologie, damit die Debatte um die Änderung des internationalen humanitären Völkerrechts deutlich zugespitzt werden kann.

Ein Ökozid-Gesetz, das Regierungen und Firmenchefs für ihre Taten und Entscheidungen haftbar machen würde, gäbe ihnen gleichzeitig die Möglichkeit, sich anders zu verhalten. Es würde dazu beitragen, dass finanzieller Profit nicht länger die höchste Priorität wäre, und würde zu einer neuen Geschäftspolitik führen. Gegenwärtig, so Higgins, sind Unternehmen rechtlich verpflichtet, für ihre Aktionäre den größtmöglichen Gewinn herauszuschlagen. Eine neue Politik auf geänderter Rechtsgrundlage würde zu Anfang jeder politischen oder betrieblichen Entscheidung der gesetzlichen Pflicht der Vorsorge für die Umwelt Rechnung tragen müssen. Solange der maximale finanzielle Profit gesetzlich höher gewertet wird als die Pflicht zum Schutz der Umwelt (einschließlich des Rechtes auf Leben und Gesundheit), ist es für ein Unternehmen schwierig auszusteigen und sich anders zu verhalten, nicht zuletzt wegen der Kosten, die dies zur Folge haben würde.

Die Abschaffung der Atomenergie in Deutschland ist ein Paradebeispiel für diese Problematik. Sie hat nur dann Erfolg, wenn Deutschland es schnell genug schafft, auf umweltfreundliche Energiequellen umzustellen und den Exportmarkt für erneuerbare Technologien sicherzustellen – gegen die massive Konkurrenz von Unternehmen in Asien, die billiger produzieren. Ein anerkanntes Ökozid-Gesetz würde die Grundlage dafür schaffen, eine derartige Energiewende mit Hilfe von Subventionen zu unterstützen und ungleiche Marktbedingungen zu unterbinden.

Um ein Abkommen über die Abschaffung von Atomwaffen zu erreichen, brauchen wir die Unterstützung einer großen Wählerschaft. Die Umweltbewegung ist derzeit über die Atom-Problematik ernstlich gespalten. Ein gesetzlicher Rahmen würde ermöglichen, dass nicht länger ein ökologisches Übel gegen ein anderes gestellt wird, und würde endlich die Augen für andere Lösungsvorschläge öffnen. Wir müssen das Problem ganzheitlich angehen und uns gleichzeitig darauf konzentrieren, wo unsere Kompetenzen wirksam werden können. Ökozid ist ein Gesundheitsproblem, und Atomwaffen könnten den schlimmsten überhaupt vorstellbaren Ökozid auslösen.

Für weitere Informationen zum Thema Ökozid besuchen Sie die Webseite: www.oekozid.org

Xanthe Hall, internationale Abrüstungsreferentin und Campaignerin für IPPNW Deutschland

2 Gedanken zu „Ökozid – eine katastrophale Folge von Atomwaffen

  1. Es ist erschreckend, sehr erschreckend, was
    unserer WELT droht, falls wir nicht früh genug oder überhaupt gemeinsam daran arbeiten eine Atomwaffenfreie Welt zu schaffen.
    Lasst uns doch alle gemeinsam daran arbeiten und
    Begonnenes weiterführen und Rücksicht, Einsicht, Vorsicht üben!

  2. Pingback: Das Monster schläft nur « Das atomwaffenfreie Blog

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