Gesundheit als Brücke für den Frieden

Vom 13.-16. November 2018 haben Mitglieder der deutschen IPPNW-Sektion an dem internationalen Kongress “Health for Peace” in Shiraz im Iran teilgenommen. Foto: IPPNW

International Conference on Health for Peace, Shiraz, Iran

Unsere iranische Kollegin Leila Moein von den Physicians for Social Reponsibility Iran schickte im Sommer 2018 eine Einladung zur Health for Peace Conference in Shiraz. Zunächst wollte unsere als europäische IPPNW-Präsidentin Angelika Claußen teilnehmen, sie musste allerdings absagen, so dass Aino Weyers aus dem Vorstand von ICAN Deutschland und ich, Katja Goebbels, für die deutsche IPPNW-Sektion, fahren durften. Bis zur Ankunft wussten wir nicht, ob wir einreisen könnten, da es Probleme mit den Visa gab. Da aber unsere iranischen KollegInnen, mit denen wir in den letzten Wochen und Tagen im regen Emailaustausch standen, uns versicherten, dass es schon klappen würde, saßen wir im Flieger und tatsächlich ging alles gut! Mitten in der Nacht wurden wir von zwei netten Studenten empfangen und zum Hotel gebracht.

Konferenz
Nach zwei Stunden Schlaf stand der erste Konferenztag an. Jeder Tag startete mit einer Lesung aus dem Koran sowie der Nationalhymne. Das Format, in mehreren Panels 5-6 je zehn Minuten lange Vorträge pro Panel anzuhören, dazu meist mit Simultanübersetzung, war etwas ungewohnt für uns. Auch die Sitzordnung mit Teilnehmer*innen, die nicht frontal zum Panel saßen, sondern oval an Tischen mit Monitoren, machte es nicht leichter, den Vortragenden zu folgen. Wir hörten von der epidemiologischen und psychiatrisch-psychologischen Seite über die Folgen von Gewalt. Leider waren die meisten Panels rein männlich besetzt. In dem Panel der Nichtregierungsorganisationen, in dem Aino Weyers (ICAN Deutschland) und ich zusammen mit Arun Mitra (IPPNW Co-President) und Shakeel Rahaman (PSR India), Gunnar Westberg (eh. Internationaler IPPNW-Vorstand), Remco van de Pas (Global Health Maastricht) über die Themen Uranabbau, Klimawandel, ICAN und Medical Peace Work referierten, kam bei einigen Teilnehmer*innen sehr gut an. Dass der Klimawandel, die Bedrohung durch Atomwaffen sowie die weltweite ökonomische Ungleichheit die drei größten Herausforderungen unserer Zeit sind, wurde mehrfach betont.

Das Highlight des zweiten Kongresstages war, bei den Studierenden vortragen zu können. Zusammen mit Remco van de Pas zeigten wir zunächst interaktiv eine Medical Peace Work-Fallstudie zum Atombombenabwurf über Berlin, um eine anderes Methode statt der frontalen Rede zu verwenden und die Studierenden auch auf anderen Ebenen zu erreichen. Remco teilte seinen persönlichen Lebenslauf zur Motivation der Studierenden, um sie zu ermutigen, aktiv zu werden. Die sehr gute Resonanz hat uns schon Pläne machen lassen, wie wir die Studierenden weiterhin unterstützen können!

Der dritte Tag war durch Redner geprägt, die häufig den Koran zitierten und einige Male die USA und Israel offen kritisierten. Obwohl uns mehrfach gesagt wurde, wir sollen nicht über Politik sprechen, schien dies für die lokalen, religiösen Professoren nicht zu gelten. Mich hat die passiv-aggressive Haltung in Kombination mit religiösen Rechtfertigungen frustriert und meine Hoffnung vom Vortag zusammenschrumpfen lassen. Allerdings wurde auch mehrfach die Friedfertigkeit des Islams und die Toleranz betont, mit denen eine Brücke zu anderen Religionen geschlagen werden könne.

Sanktionen
In vielen der Präsentationen kamen die unterschiedlichen Formen von Gewalt vor. Auch die Sanktionen gegen den Iran waren immer wieder Thema. Diese sind ein Beispiel von struktureller Gewalt, unter der besonders die ärmere Bevölkerung zu leiden hat. Durch den extremen Anstieg im Wechselkurs zum Dollar mussten bereits viele kleinere Händler aufgeben und manche erzählten uns, dass es jetzt noch gehe, aber in den nächsten Monaten die Auswirkungen immer härter werden würden, wenn die Reserven quasi aufgebraucht sind. So kam es schon zu Hamsterkäufen insbesondere bei Nahrungsmitteln und Medikamenten, auch weil erwartet wird, dass die Inflation noch weiter zunimmt. Wir sind hier auf einmal (Rial-)Millionäre, da der Wechselkurs gerade bei offizielle 1 Euro zu 47.590 iranische Rial steht. Unter den Ärzt*innen und Lehrer*innen selbst sind es eher Einschränkungen der Lebensqualität, aber in den sozial schwächeren Schichten sind die Auswirkungen existentiell. Jemand meinte, dass die Regierung auch dadurch profitiert, dass die Menschen sich ums Überleben kümmern müssen und nicht aufbegehren könnten.

Kultur
Wir durften sehr kurz einen Blick auf die Highlights von Shiraz werfen – Persepolis, Eram‘s Garten und den Bazaar mit einer alten Moschee. Viel Geschichte und Geschichten erlebten wir in dieser kurzen Zeit, von der mir die Gastfreundschaft am eindrücklichsten in Erinnerung bleiben wird. Wir sind immer umsorgt worden (manchmal vielleicht auch beaufsichtigt) und zu sehr leckerem traditionellen Essen eingeladen worden. Hunderte Fotos wurden gemacht und wir durften viele Menschen kurz kennenlernen. Von welcher Seite wir sie kennenlernen durften, blieb allerdings “verschleiert” – sowohl die Psychiater als auch unsere Kolleg*innen berichteten von den Identitätsproblemen, die durch das strikt geregelte öffentliche Auftreten inklusive Schleier und dem privaten, auch durch das Internet und seine Möglichkeiten geprägten Leben entstehen. Unter älteren Menschen scheint Einsamkeit und Isolation zuzunehmen. Das Streben nach Individualität und Unabhängigkeit der jüngeren Generationen nehme zu, was sich schwer mit der traditionellen Struktur von Familie vereinbaren lässt. Während es vor 10 Jahren noch undenkbar gewesen sei, sich nicht selbst um die Älteren der Familie zu kümmern, lebten nun immer mehr ältere Menschen alleine. Das hat mich im ersten Moment überrascht und im zweiten eigentlich nicht mehr: Unsere Welt hat schon längst keine Grenzen der sozialen Phänomene mehr, alles gibt es überall nur in etwas eigenen Schattierungen und eventuell leicht zeitversetzt. Dabei ist es irrelevant, ob ein Hipster im Start-up in Berlin einen Burn-out bekommt oder ein junger Mensch im Iran durch Metamphetamine in die Psychose getrieben wird – beide leiden unter der großen Unsicherheit und Orientierungslosigkeit der jetzigen, globalen neoliberalen Welt. Wir sind uns in vielem daher viel ähnlicher als ich zunächst dachte.

Und was nun?
Was folgt jetzt aus dieser Konferenz für uns persönlich, für uns als IPPNWlerInnen, für die globale Friedensbewegung? Es fällt mir enorm schwer, Antworten zu finden. Mit unseren gewohnten Konzepten der internationalen Solidarität zwischen Ärzt*innen und dem vermeintlich leichteren Zugang zur Politik sehe ich keinen Fortschritt, der schnell genug wäre, die Klimakatastrophe (und in ihrem Gepäck Migration, eskalierte Konflikte, potentieller Einsatz von Atomwaffen, etc.) abzuwenden. Auch tragen internationale Konferenzen wie diese weiter zum CO2-Ausstoß bei und haben einen nur schwer messbares positives Ergebnis (wenn überhaupt). Vielleicht sollten wir uns mehr mit einem Denken außerhalb unserer Box und unseren jetzigen Möglichkeiten beschäftigen, wie es unser Kollege Remco hier tut.

Eine Frage, die sich stellt: Wie können wir globale Probleme mit der Denkart der Nationen lösen? Also mit derselben Denkart, die sie hervorgebracht haben? Auf wie viele Konferenzen wollen wir noch fliegen?

Ich freue mich auf einen bereichernden Austausch.

Dr. med. Katja Goebbels ist IPPNW-Ärztin

Ein Gedanke zu „Gesundheit als Brücke für den Frieden

  1. Danke, Katja, für diesen Bericht. In der Tat, werden mir internationale Konferenzen immer zweifelhafter, auf der anderen Seite ist ein persönlicher Austausch und Face to Face Diskussion die einzige Chance, Feindbilder abzubauen und letztlich Verständnis für verschiedene Seiten zu wecken. Deshalb finde ich, dass es wichtig und gut war, dass Ihr als junge Menschen dort hingefahren seid und sei es nur für den Tag bei den Studenten und Studentinnen. Jetzt beginnt allerdings die “Kerner”-Arbeit, die Kontakte zu halten und zu gemeinsamen Projekten auf Augenhöhe zu kommen, d.h. auch Besuche von iranischer Seite hier organisieren, auch wenn es wahrscheinlich viel komplizierter und schwieriger wird. Ich erinnere mich, als ich damals in Osnabrück war, wir (zwei IPPNW-Kollegen) hatten noch mitten im Kalten Krieg vom Moskauer IPPNW-Kongress aus auf abenteuerliche Weise einen Abstecher in die Partnerstadt von Osnabrück in Russland gemacht, mir ging es ähnlich wie Dir, aber daraus hatten sich mehrere Jahre lang tolle Projekte entwickelt, z.B. eine Prothesenwerkstatt für Kriegsversehrte und -verwundete und auch eindrucksvolle Gegenbesuche. Also kann ich nur ermutigen, diese People zu People Diplomatie, abseits von der offiziellen Politik, fortzusetzen, auch wenn erst in der Langzeit sich was ändern wird.. Deshalb sollten wir “Alten” das auch nicht machen, sonder Ihr jungen Leute, wir müssen hier wühlen und arbeiten, zum Beispiel auf der Landebahn in Büchel. Elu

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