Kein Frieden in Europa gegen Russland

Dr. Lars Pohlmeier ist europäischer IPPNW-Präsident (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung)

Mit der Volksabstimmung auf der Krim hat die Krise in der Ukraine nochmals an Schärfe gewonnen. Die Verantwortung dafür hat viele Namen und Gesichter. Unsere Regierung, die EU und die USA gehören mit dazu. In den jüngsten Tagen hatten auf allen Seiten die Falken die Oberhand. Wollen wir die Krise lösen, muss die eskalierende Politik des Westens einer Politik der Vernunft weichen. Dass das heutige Russland unter Präsident Putin dabei kein einfacher Partner ist, ist richtig. Gleichwohl ist die aktuelle Isolationsstrategie gegenüber Russland politisch falsch und schon jetzt zum Scheitern verurteilt.

Der Grad an kultureller Ignoranz, an Aversion und Aggression in Politik und Medien gegenüber Russland ist erschütternd. Der Westen will oder kann scheinbar nicht begreifen, wie eng die emotionale Bindung zwischen Russland und der Ukraine ist. Eine breite Öffentlichkeit in Russland unterstützt Putin. Hier fühlt man sich diffamiert durch einseitige Vorwürfe aus dem Westen. Während Russland abgestraft werden soll wegen der Unterstützung der eigenen Ethnie in der Ukraine, wird die nicht legitimierte ukrainische Übergangsregierung aufgewertet und hofiert. Das Problem des nicht-entwaffneten nationalistisch-faschistoiden Sektors bzw. der rechten Svoboda-Gruppierung werden heruntergespielt, wenn nicht gar ignoriert.

Aus der Krise in der Ukraine wird für die deutsche Öffentlichkeit eine Krim- und Russlandkrise. Unabhängig von der rechtlichen Beurteilung ist das Referendum über die Unabhängigkeit der Krim zum jetzigen Zeitpunkt politisch falsch. Es ist aus russischer Sicht aber eine konsequente Reaktion auf die politische Krise in Kiew. Wichtig wäre, gemeinsam mit Russland nach diplomatischen Wegen zu suchen, um eine Legitimierung der staatlichen Ordnung in der gesamten Ukraine wieder herzustellen. Dabei ist Deutschland aufgrund seines Vorgehens in der Ukraine und auf der Krim während des Zweiten Weltkrieges sowie seiner Unterstützung der Ost-Erweiterung der Nato und der EU nach dem Ende des Kalten Krieges, kein geeigneter Vermittler. Die OSZE muss hier eine wichtige Rolle spielen.

Ob es dann im Verlauf dieses Prozesses zu einer Abspaltung von Landesteilen oder gar einer Spaltung der Ukraine kommt, müssen die Menschen selbst entscheiden.

Und Russland? In Russland werden mehr und mehr nationalistische Töne angeschlagen. Das ist beunruhigend und zugleich ein weiterer Grund, auf allen Ebenen mit der russischen Regierung im Gespräch zu bleiben und auch die dortige Zivilgesellschaft zu unterstützen.

Wer Russland jetzt unverhohlen droht, muss damit rechnen, dass diese Drohungen angesichts der Stimmung in Russland an Putin abprallen. Und diejenigen, die bei uns jetzt so leichtfertig in Kalte-Kriegs-Rhetorik verfallen, seien erinnert: Russland ist eine Atommacht. Es steht nicht nur die Zukunft der Ukraine auf dem Spiel, sondern auch dringend notwendige Abrüstungsperspektiven im Atomwaffenbereich. Auch im Nahen Osten wie beim Krieg in Syrien, ist ohne Russland keine Lösung zu erwarten. Wir alle haben mit einer falschen Politik viel mehr zu verlieren als uns lieb ist.

Wir können nur an die Vernunft aller Beteiligten appellieren: Russland und Europa sind und bleiben eine Schicksalsgemeinschaft und sind einander auf vielen Ebenen verbunden. Es kann in Europa keinen Frieden gegen Russland geben.

Ein Gedanke zu „Kein Frieden in Europa gegen Russland

  1. Lieber Lars Pohlmeier,
    vielen Dank für deinen Kommentar, du sprichst mir aus dem Herzen!!!
    Sollten wir vielleicht als IPPNW diesen Brief und/oder den Brief an Merkel und Steinmaier als offenen Brief in Zeitungen setzen mit möglichst vielen Unterschriften!?
    Evtl. noch ergänzen den Aspekt Energiepolitik ( siehe Artikel von Henrik Paulitz vom 19.März), ist in der Form in der Öffentlichkeit kaum beaknnt! Herzlichst B.Nickl

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