Ich bin 26 Jahre alt, seit bald sieben Jahren Mitglied der IPPNW, den Ärzten gegen den Atomkrieg. Im März 2011 werde ich zum ersten Mal als Atomkraftgegnerin vorgestellt und bin stolz darauf. Ursula Völker, Ärztin und Atomkraftgegnerin. Nicht dass es ein Kinderspiel gewesen wäre, nach dem Staatsexamen in die Arztrolle hineinzuwachsen. So direkt als Atomkraftgegnerin bezeichnet zu werden, ist noch ungewohnter.
Ich vermute, das geht nicht nur mir so. Meine Generation hat die Atomkraftgegnerschaft gewissermaßen in die Wiege gelegt bekommen, sich aber zunächst eher als Opfer wahrgenommen. Schließlich waren wir 1986 die gegenüber radioaktiver Strahlung empfindlichste Bevölkerungsgrupe: Ungeborene und Kleinkinder. Wir haben die Ängste unserer Eltern erlebt, erinnern uns an Sandkastenverbot und geschlossene Fenster.
Diese Erfahrung allein macht uns noch längst nicht zu bekennenden Atomkraftgegnern. Sie bringt uns möglicherweise dazu, die Grünen zu wählen, den schönen blauen Strom der Stadtwerke zu wählen oder zu Ökostromanbietern zu wechseln. Umweltbewusst, Globalisierungskritiker, aber Atomkraftgegner? Dieses Etikett hätten wir uns nicht verpasst.
Nach Fukushima stellen wir erschrocken fest, dass in einem Vierteljahrzehnt nichts dafür getan worden ist, die Kinder, die wir bekommen haben oder bekommen werden, vor derselben Gefahr zu schützen. Wir machen der Generation unserer Eltern stille Vorwürfe und merken dabei, dass wir selbst inzwischen die Erwachsenenrolle eingenommen haben und Verantwortung tragen. Wir erkennen, dass korrektes Handeln nicht ausreicht. Wir müssen Stellung beziehen, zu offiziellen und lautstarken Atomkraftgegnern werden.
Als Ärztin ist es meine Aufgabe, Leben zu erhalten und vor Gefahren zu bewahren. Dieser Auftrag und meine medizinische Ausbildung führen mir noch deutlicher vor Augen, warum ich mich als Atomkraftgegnerin bezeichnen möchte: Ich weiß um die gesundheitlichen Folgen der radioaktiven Strahlung, sowohl im Hoch- als auch im Niedrigdosisbereich. Ich kann nicht hinnehmen, dass Regierungen, Behörden und Konzerne meinen Mitmenschen dieses Wissen vorenthalten.
Ich bin entsetzt, auf welche Weise Grundprinzipien der Forschung durch die Verquickung der Belange von IAEA und WHO auf den Kopf gestellt werden. Wenn die weltweit oberste Gesundheitsbehörde sich seit 52 Jahren von genau der Behörde den Mund verbieten lassen darf, der die Förderung der zivilen Nutzung der Atomenergie obliegt, haben unabhängige Studien kaum eine Chance, durchgeführt geschweige denn gehört zu werden.
Atomkraftwerke gefährden Menschenleben nicht nur im Störfall. Radioaktive Strahlung lässt die Bergarbeiter erkranken, die das Uran für unsere Brennstäbe aus dem Boden holen. Die Emissionen der Reaktoren im Normalbetrieb erhöhen die Kinderkrebsraten in der Umgebung, von der völlig ungelösten Frage der Endlagerung gar nicht zu sprechen. Die zivile Nutzung der Atomenergie steht in direktem Zusammenhang mit der Weiterverbreitung von Atomwaffen. Vorbeugen, wo Heilen kaum möglich ist, muss das ärztliche Handlungsprinzip sein.
Ein Hinweis zum Schluss. Der Schutz und Erhalt menschlichen Lebens ist kein Monopol der Gesundheitsberufe, sondern unser aller ureigenstes Interesse, Politiker und Konzernchefs eingeschlossen. Als Ärztin kann ich Argumente liefern, wissenschaftliche Erkenntnisse beurteilen. Der Auftrag, sich von einer Technologie abzuwenden, deren Risiken wir seit ihren Anfängen nicht im Griff haben, geht an uns alle. Abschalten!