Schwere Zeiten für Van

Kommunalwahl in Van, Fahnen der HDP, Foto: IPPNW

Im Gegensatz zum frühlingshaften, warmen Wetter in Istanbul erwartete uns im 1.500 Meter hoch gelegenen Van am östlichen Ende der Türkei eine noch winterliche Landschaft mit tief verschneiten Bergen, unangenehm kaltem Schneeregen und frostigen Temperaturen. Doch ab und zu bohrten sich erste wärmende Sonnenstrahlen durch die graue Wolkendecke und kündigten so den nahenden Frühling an. Eine ähnliche politische Atmosphäre trafen wir in dieser Millionenstadt an. Van hat, wie andere kurdische Städte, schwere Zeiten hinter sich. 2011 wurden weite Teile durch ein Erdbeben zerstört. Noch heute sieht man an einigen Stellen die Spuren dieser Zerstörung.

Der Wiederaufbau und alle Ideen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Kommune wurden durch die Entlassung der Bürgermeister*innen und den von Ankara eingesetzten Zwangsverwalter abrupt gestoppt. Es kam zu einer immensen Verschuldung, Abbruch von regionalen Infrastrukturprogrammen, hoher Jugendarbeitslosigkeit (70%), Abwanderung, Ausverkauf kommunaler Gemeingüter, wie Gebäuden, Grundstücken und Versorgungs-Dienstleistungen. Ein Großteil des Personals wurde entlassen und durch fremdes, häufig unqualifiziertes Personal ersetzt.

Wenn unter dieser Hypothek bei den Kommunalwahlen am 31. März 2019 die HDP wieder mit großer Mehrheit die kurdischen Städte gewinn, und die Zentralregierung nicht, wie angedroht, erneut Zwangsverwalter einsetzt, wird es für die Kommunalverwaltungen sehr schwer werden. Zusammen mit den zu erwartenden Behinderungen durch die Zentralregierung dürfte das Regieren sehr schwer werden. Die Regierung will damit die Unfähigkeit der kurdischen Vertreter*innen beweisen. Die Kandidat*innen und Vertreter*innen der kurdischen Zivilgesellschaft sind sich dessen bewusst, lassen sich aber nicht abschrecken und nehmen die Herausforderung an.

Nach Aussage des Vorsitzenden der Anwaltskammer Mahmut Kasan war die Situation für Anwälte und Menschenrechtler noch nie so schwierig wie heute. Allein in Van sind 40 Anwälte wegen einer Verbindung zu einer terroristischen Vereinigung angeklagt, warten auf ihren Prozess oder sitzen schon im Gefängnis.

Für uns ist es immer wieder erstaunlich, dass sich trotz aller Repression und Gefahr bei den vielen Wahlen (7 Wahlen seit 2015) immer wieder genügend Kandidat*innen finden. Das bleibt ein Geheimnis, das nur mit dem Rückhalt in der kurdischen Gesellschaft zu erklären ist und dem hohen Grad der Politisierung.

Dr. Gisela Penteker ist IPPNW-Mitglied und Türkei-Beauftragte der IPPNW. Sie ist Teilnehmerin einer Reise von IPPNW-Ärzt*innen und Friedensaktivist*innen in die Türkei.