Strategietreffen Afghanistan am 25. Februar 2017

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Strategietreffen Afghanistan am 25.02.2017 Foto: IPPNW

Trotz jahrzehntelanger militärischer Missionen und großen Summen von Entwicklungshilfe, die nach Afghanistan flossen, reißen die Schreckensmeldungen von dort nicht ab. In Afghanistan herrscht Krieg. Millionen Afghanen sind auf der Flucht vor Terror und Leid. Indes hält die deutsche Bundesregierung an ihrer Position fest: In ihren Augen verdienen nicht alle afghanischen Geflüchteten unseren Schutz – so hat es Bundesinnenminister Thomas de Maizière mehrmals betont. Ab Dezember vergangenen Jahres wurde die politische Rhetorik traurige Realität. Ab dem Zeitpunkt wurden drei sogenannte Sammelabschiebungen nach Afghanistan durchgeführt. 

Was dabei in Vergessenheit gerät: Das Asylrecht ist mitnichten ein Gnadenrecht aus Güte, sondern ein unveräußerliches Menschenrecht. Der Arbeitskreis Flüchtlinge & Asyl der IPPNW spricht sich vor dem Hintergrund der ärztlichen Verantwortung für die Wahrung der Menschenwürde sowie des Rechts auf körperliche und seelische Unversehrtheit eines Jeden gegen die aus politischem Kalkül angestrebten Abschiebungen nach Afghanistan aus. Ein vom AK initiiertes Strategietreffen am 25. Februar 2017 in Berlin zielte in diesem Zusammenhang darauf ab, zivilgesellschaftliche Akteure, die sich ebenfalls gegen die menschenunwürdigen Abschiebungen nach Afghanistan einsetzen, in ihren politischen Widerstandsbestrebungen zu vernetzen. Gemeinsam wurde eine Strategie erarbeitet, um die Forderung nach einem sofortigen Abschiebestopp und einem Bleiberecht für alle Geflüchteten aus Afghanistan in Deutschland nachdrücklicher hör-, und sichtbar werden zu lassen. 

Charterflüge nach Kabul haben Geflüchtete gewaltsam dem Leben entrissen, auf das sie ihre Hoffnungen gesetzt haben. Ihr Leben hier in Deutschland. Das Wort „Abschiebung“ ist längst kein abstraktes Wort mehr. Die Betroffenen und von Abschiebung Bedrohten leben seit längerer Zeit in Deutschland – viele von ihnen sind zu FreundInnen geworden, zu Nachbarn, PatientInnen, SchülerInnen und Schützlingen, deren Berichte aus Afghanistan uns erschüttern. Im Sinne der Humanität lassen sich ihre Ansprüche auf eine Zukunft in Sicherheit nicht länger ignorieren. Diese Auffassung vertritt auch die Afghanistan-Expertin Friederike Stahlmann. Eindrucksvoll schilderte die am Max-Planck Institut beschäftigte Ethnologin am Vormittag den rund 55 Teilnehmenden aus neun Bundesländern, warum der Verweis der Bundesregierung auf „sichere Gebiete“ in Afghanistan sich binnen weniger Minuten als haltlos verwerfen lässt. Die Erläuterung der Kriegsstrategie der Taliban durch Frau Stahlmann machte deutlich: Wer in Afghanistan lebt, muss täglich mit dem Tod rechnen. Niemand soll sich sicher fühlen können. Der afghanische Staat, unterwandert von ehemaligen Kriegsbeteiligten, kann oder will seiner Schutzpflicht gegenüber seinen Staatsangehörigen nicht nachkommen. Das einzelne Menschenleben verliert im Angesicht des Bürgerkrieges seinen Wert. Die prekäre Situation afghanischer Familien bleibt auch in den angrenzenden Staaten Iran und Pakistan bestehen, in die viele AfghanInnen geflohen sind. 

Auf den Schultern derjenigen AfghanInnen, die es nach Europa schaffen, ruhen die Hoffnungen ihrer Familien. Doch in Deutschland ist den Geflüchteten die Gewährung yon Asyl längst nicht mehr sicher. Die Fachanwältin für Asylrecht, Oda Jentsch, verdeutlichte in ihrem Vortrag, unter welch großem politischen Druck auch die Justiz steht, wenn sie über das Bleiberecht afghanischer Geflüchteter entscheidet. Eine uneinheitliche Rechtspraxis in verschiedenen Bundesländern schürt Ängste und Unsicherheit unter den Betroffenen und UnterstützerInnen. Die politischen Weisungen der Bundesregierung, die verstärkte Abschiebungen nach Afghanistan fordert, stehen nicht selten im Kontrast zu deutschem Asylrecht und den internationalen Abkommen. Nicht umsonst verweigern Bundesländer wie z.B. Thüringen, Schleswig-Holstein und Bremen eine Beteiligung an den Abschiebungen nach Afghanistan.

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Austausch während des Afghanistan Strategietreffens Foto: IPPNW

Mit den Wissensimpulsen des Vormittags begonnen drei Arbeitskreise damit, ihre politischen Widerstandsbestrebungen und Unterstützungsangebote für afghanische Betroffene zu konkretisieren. Der Austausch in den Workshops verdeutlichte, wie vielfältig sich ÄrztInnen, TherapeutInnen, SozialarbeiterInnen und Individualpersonen in ganz Deutschland bereits dafür stark machen, die Geflüchteten aus Afghanistan bei der Verteidigung ihrer Menschenrechte zu unterstützen. Allein die Online- Petition des IPPNW-Mitglieds Dr. Tom Nowotny gegen die Afghanistan Abschiebungen hat zur Zeit 65.114 UnterstützerInnen (Stand: 06.03.2017). Während sich der erste Workshop mit der Rolle von HeilberuflerInnen im Einsatz gegen drohende Abschiebungen ihrer PatientInnen beschäftigte, fokussierte sich der zweite Workshop auf die sozialen und rechtlichen Maßnahmen, mit denen von Abschiebungen Bedrohte in Zukunft besser geschützt werden können. Der dritte Workshop hatte die Verbesserung der Wirksamkeit des politischen Widerstandes zum Thema. Jeder der Teilnehmenden war dazu eingeladen, seine persönlichen Erfahrungen aus der Praxis in die Arbeitskreise einbringen. Auf diese Weise ließen sich in jedem der drei Teilbereiche rasch dringender Handlungsbedarf erkennen. In einer gemeinsamen Abschlusssitzung wurden Ergebnisse der Workshops zusammengetragen, Prioritäten ausgearbeitet und so zukünftige Ideen für eine gemeinsame Strategie reflektiert. 

Im Plenum verständigten die Beteiligten sich auf eine einheitlichere Koordination der Öffentlichkeitsarbeit, etwa unter der Verwendung der Hashtags #keinsicheresland und #abschiebestopp. Zudem beschloss das Strategietreffen die Planung weiterer Aktionstage und Protestaktionen, um die breite Öffentlichkeit für die notwendige Abkehr von der Abschiebepolitik der Bundesregierung zu sensibilisieren. Dabei gilt es, die Geflüchteten in Zukunft noch stärker in die politische Arbeit einzubeziehen, und diese zu ermutigen, von ihren Rechten und Möglichkeiten im Asylverfahren Gebrauch zu machen. Die Ergebnisse und Eindrücke des Strategietreffens geben dem AK Flüchtlinge & Asyl der IPPNW für seine politische Arbeit zahlreiche wichtige Impulse und Anregungen mit auf den noch langen Weg zu einem Bleiberecht für afghanische Geflüchtete. Fest steht indes für alle Beteiligten: Der Einsatz gegen Abschiebungen in ein Land, das nicht sicher ist, wird auch in den folgenden Monaten wichtiger denn je sein. 

Zusatz: Als Reaktion auf das gemeinsame Schreiben der Staatssekretäre des Auswärtigen Amts und des Bundesministeriums des Innern vom 24. Februar 2017, verfasste der Arbeitskreis Flucht & Asyl der IPPNW eine ausführliche Replik.
Pressemitteilung zur Entgegnung der Argumentation der Bundesregierung

Valerie Hertwig arbeitet in der IPPNW-Geschäftstelle mit.