Verloren und hoffnungslos: Eindrücke aus einem jesidischen Flüchtlingslager

Das Flüchtlinkscamp Findikli. Foto: IPPNW

Im Flüchtlinkscamp Findikli bei Diyarbakir harren 3.750 Flüchtlinge seit acht Monaten aus. Foto: Sigrid Ebritsch / IPPNW

Sigrid Ebritsch

Auf unserem Weg zum Newroz-Fest nach Diyarbakir sehen wir ca. 15 km vor der Stadt Reihen von grau-weißen Zelten. Es ist das Camp Findikli, wo 3.750 jesidische Flüchtlinge aus Sindschar im Nordirak seit acht Monaten ausharren. Die Ärztekammer von Diyarbakir ermöglicht es uns, das Camp zu besuchen. Für den türkischen Staat gelten sie als Illegale. Deshalb erhalten sie keinen Flüchtlingsstatus. Im Unterschied zu den Flüchtlingen aus Syrien erhalten die Jesiden aus dem Nordirak keinen legalen Aufenthalt. Abgeschoben werden sie auch nicht. Der türkische Staat ignoriert sie. Dadurch gibt es auch keine internationale Hilfe.

Die Menschen, die in Camp Findikli auf der Flucht vor den Gräueltaten des IS gestrandet sind, sind schwer traumatisiert. Für sie gibt es keinerlei medizinische und psychologische Betreuung. Die Flüchtlinge haben keinen Anspruch auf staatliche medizinische Versorgung. In den Krankenhäusern müssen sie privat bar bezahlen. Doch Geld haben die wenigsten. Die lokale Ärztekammer der Stadt Diyarbakir hat einen ehrenamtlichen Dienst auf die Beine gestellt. Freiwillig und ohne Entgelt arbeiten Ärzte aus Diyarbakir stundenweise in der kleinen Krankenstation im Camp. Die Apotheker der Stadt haben Medikamente gesammelt. Aber das alles reicht nicht aus für ein Lager von der Größe einer Kleinstadt. Nicht alle Medikamente sind vorrätig. Viele Menschen bleiben unbehandelt und mit ihren Traumata und Erkrankungen allein. Verbreitet sind besonders Erkältungen und Hautkrankheiten.

Die von der Stadtverwaltung eingesetzte Leiterin des Lagers betont, dass die psychische Verfassung der jesidischen Flüchtlinge das größte Problem ist. So kommt es im Camp öfter zu Selbstmordversuchen von jungen Frauen.

Einzig die Stadt Diyarbakir hat sich der jesidischen Flüchtlinge angenommen. Die Hilfe belastet den städtischen Haushalt enorm. Rund 25.000 Euro muss die Stadt jeden Tag für das Lager aufwenden. Die Menschen erhalten dreimal am Tag Verpflegung. Meistens gibt es Gemüse und Getreide, einmal in der Woche gibt es Fleisch. 100 Menschen teilen sich eine Toilette und Dusche. Die Stromkosten machen einen hohen Anteil der Gesamtkosten aus. Der Stromverbrauch schlägt monatlich mit ca. 170.000 Euro zu Buche. In dem kalten osttürkischen Winter wurden die Zelte bis in den März hinein mit Strom beheizt. Selbst jetzt, Ende März, schneit es. Aber die Verantwortlichen fürchten den Sommer. Es kann in der Tigris-Ebene bis zu 50 Grad heiß werden. „ Im Sommer können die Flüchtlinge hier nicht bleiben“, warnt die Camp-Leiterin.

Bei unserem Besuch scharen sich schnell einige junge Jesiden um uns. Sie sind verzweifelt und zornig. Seit acht Monaten wissen sie nicht, wie es weiter geht. Sie können nicht zurück in die noch immer vom IS bedrohte Sindschar-Region und haben in der Türkei keine Perspektive. Sie fühlen sich verlassen. Die Männer klagen, dass die Gesundheitsversorgung nicht ausreicht und zu wenig Mitarbeiter im Camp sich um die Flüchtlinge kümmern.

Insgesamt hat die Stadt Diyarbakir im Flüchtlingslager 80 haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter im Einsatz. Die Stadt tut ihr Mögliches, ist unser Eindruck. Das Camp liegt auf einem ehemaligen Sport- und Picknickgelände. Es gibt einen Volleyballplatz, ein Fernsehzelt und Schulunterricht für 160 Kinder.
Die Hoffnung der Jesiden ist Europa. Aber sie sind in den vergangenen Monaten immer enttäuscht worden. „So viele Delegationen waren hier, heute Ihr Deutschen, gestern Italiener, letzte Woche Franzosen. Aber nichts ist passiert“, sagt ein junger Mann bitter.

Sigrid Ebritsch und Margit Iffer