Der buddhistische Priester Tetsuen Nakajima ist einer der bekanntesten Anti-AKW-Aktivisten in Japan. Schon 1995 warnte er in dem Dokumentarfilm „Nuclear Ginza“ vor den Gefahren der Atomtechnologie. Als trotzdem 15 AKWs in seiner Präfektur Fukui an der sogenannten „Japanischen See“ in Betrieb genommen wurden, protestierte er mit einem wochenlangen Hungerstreik in Tokyo. Auch vor der Wiederinbetriebnahme des Nuclearreaktors in Oi mobilisierte der buddhistische Geistliche, leitender Priester des Myotsuji-Tempels in der Präfektur Fukui nördlich von Kyoto, die Bürger zu einem verschärften Protest, sammelte Unterschriften für Petitionen und organisierte gemeinsame Events mit den führenden Vertretern anderer religiöser Gruppen und NGOs.Ich traf mich mit ihm am 30. August in den japanischen Bergen zu einem Exclusiv-Interview. Dabei sparte der Priester, der eine Atmosphäre von Ruhe und Harmonie ausstrahlte, nicht an deutlichen Worten und markanten Vergleichen: „In Japan gibt es eine neue Form des Kolonialismus, eine Art nationalen Atomenergie-Kolonialismus. Arme Präfekturen am Meer werden gedrängt, den Bau und Betrieb von AKWs zuzulassen und alle damit verbundenen Risiken, Gefahren und Bedrohungen auf sich zu nehmen, während die finanzstarken und einflussreichen Metropolen Tokyo und Osaka weit entfernt die Nutznießer der produzierten Energie sind. Dort muss sich auch niemand um die „Todesasche“, um den entstandenen Atommüll kümmern, der inzwischen rings um die AKWs in Hallen gesammelt wird, weil alle Zwischenlager für die verbrauchten Brennstäbe überfüllt sind! Alles dreht sich pausenlos nur um eins: das Zaubergeld! Zum Beispiel in der Stadt Tsuruga, wo schon zwei Nuklearreaktoren in Betrieb waren, sollen noch zwei neue hinzukommen. Dafür wurde der Stadt ein „Zaubergeld“ in Höhe von 210 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Obwohl es bisher nur vorläufige Planungen gibt, wurden bereits 70 Millionen Euro vorab an die Stadt überwiesen. Das schnelle Geld zeigt beim Bürgermeister und einigen Bürgern seine Wirkung; die reale Angst vor einem Arbeitsplatzverlust kommt hinzu. Die radioaktive Strahlung dagegen sieht man nicht und spürt man nicht, sie tut nicht weh – noch nicht.“ Hier geht es nicht nur um offene Bestechung oder verdeckte Korruption, meint Tetsuen Nakajima, „für mich sind die Begriffe Atom-Lobby oder Geld-Faschismus zutreffender und umfassender!” Deswegen sind die konsequente Aufklärung der Bürger und die Mobilisierung einer starken Gegenbewegung von unten wichtige Maßnahmen der Gegenwart und Zukunft. Nach jahrelangem Einsatz sieht er derzeit eine beginnende Tendenz in der japanischen Bevölkerung, das uneingeschränkte „Atomkraft – Nein Danke!“ auch in der Öffentlichkeit zu zeigen und mutig zu vertreten.
Mit wachsamen Augen und großem Interesse hört er den Berichten über den 20. IPPNW-Weltkongress, über das anschließende Symposium in Tokyo und über die Anti-AKW-Entwicklung in Deutschland zu. Im Namen der deutschen IPPNW überreichte ich ihm die japanische Version der Studie „Gesundheitliche Folgen von Tschernobyl – 25 Jahre nach der Reaktorkatastrophe“, worüber er sich sichtlich freute. Wir waren uns einig: Zusammen wollen wir unsere Anstrengungen verstärken, die Wiederinbetriebnahme weiterer AKWs zu verhindern, damit nach dem zweiten Super-GAU in Fukushima nicht noch ein dritter notwendig wird, um auch den letzten Entscheidungsträger zur Vernunft zu bringen! Nach der Diskussion weiterer Punkte – wie dem beschleunigten Ausbau der regenerativen Energie – bedankte ich mich bei meinem beeindruckenden Gesprächspartner und bei Prof. Detlef Schauwecker, der das Treffen arrangiert und die bilinguale Übersetzung übernommen hatte.
Dr. Martin Sonnabend, IPPNW-Vorstandsmitglied
Links:
http://jneb.jp/english/japan/faithnuclear/nakajima
http://www.buddhistchannel.tv/index.php?id=44,10927,0,0,1,0
http://ajw.asahi.com/article/behind_news/social_affairs/AJ201206060003
http://ajw.asahi.com/article/0311disaster/opinion/AJ201206150082