Für eine Kultur des Friedens im Zeichen des Ukrainekrieges

Grafik: rawpixel.com

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Auszug aus dem gleichnamigen Positionspapier der IPPNW Landsberg

Wer vor einem Krieg abschrecken will, muss ihn kämpfen können, lautet die gültige Maxime der militärischen Sicherheitspolitik. Nach dieser Auffassung kann Kriegsverhinderung nur funktionieren, wenn neben der permanenten Drohung mit Massenvernichtungswaffen auch die Fähigkeit und Entschlossenheit glaubhaft dokumentiert werden kann, einen möglichen Verteidigungskrieg erfolgreich zu führen. Landesverteidigung ist aber nur dann sinnvoll und gegenüber der eigenen Bevölkerung zu verantworten, wenn das, was verteidigt werden soll, nicht zerstört wird

“Der russische Überfall auf die Ukraine markiert eine Zeitenwende. Er bedroht unsere gesamte Nachkriegsordnung. Das ist völkerrechtswidrig. Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie davor,” so Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Rede kurz nach dem russischen Angriff im Februar 2022. In der Folge entschied der deutsche Bundestag die Freigabe eines “Sondervermögens” von 100 Milliarden Euro für Rüstungsbeschaffungen, die die Bundeswehr für die Landesverteidigung dringend benötige. Auch eine Erhöhung des Militärhaushalts in den kommenden Jahren auf mindestens zwei Prozent des Bruttosozialprodukts wird angestrebt. Auch in den anderen NATO-Staaten erfolgt eine massive Erhöhung der Rüstungsausgaben, um die eigenen Streitkräfte zu “ertüchtigen”.

Die Bundeswehr müsse wieder befähigt werden, ihren eigentlichen Auftrag der Landesverteidigung wieder erfüllen zu können. Deshalb seien Ausrüstungsdefizite zu beheben und umfangreiche Beschaffungen notwendig, um Heer, Luftwaffe und Marine in die Lage zu versetzen, die Bundesrepublik Deutschland verteidigen zu können. Die heutige Sicherheitspolitik mit ihrem Fokus auf Landesverteidigung kann sich
nicht nur auf die Position der Kriegsverhinderung durch Abschreckung zurückziehen.

Vielmehr muss sie auch die Frage nach dem Überleben einer Gesellschaft im “Verteidigungsfall” überzeugend beantworten können.
Tritt der Verteidigungsfall ein, bedeutet Landesverteidigung Krieg! Das wird tunlichst verschwiegen, um der Bevölkerung nicht die damit verbundenen Konsequenzen offenlegen zu müssen. Sich militärisch gegen einen möglichen – russischen – Angriff verteidigen zu können, klingt plausibel. Dafür haben wir die Bundeswehr, die diesen Auftrag sicherstellen muss.

Was aber bedeutet ein Verteidigungskrieg für die Menschen in Deutschland und in Europa? Aufklärung ist notwendig, um die Folgen eines konventionellen Krieges den Menschen in Deutschland sachlich und exemplarisch darzustellen. Landesverteidigung ist semantisch positiv besetzt, verharmlost aber das, was es ist: Krieg! Waffenarsenale aller Art – konventionell wie atomar – könnten bei einem Versagen der Abschreckung im Verteidigungsfall in Europa eingesetzt werden. Beide Militärblöcke besitzen annähernd jeweils 6.000 Atomwaffen, die als Gefechtsfeldwaffen mit niedriger Sprengkraft (ca. 0,3 Kilotonnen, KT), als taktische Atomwaffen mit bis zu 130 KT bis hin zu strategischen Interkontinentalraketen mit bis zu 3 Megatonnen einsetzbar wären. Insgesamt sind die 31 NATO-Staaten den russischen Streitkräften – außer bei Atomwaffen – in der Anzahl von Soldaten, konventionellen Waffensystemen der Land- und Luftstreitkräfte in jeder Hinsicht überlegen. Die Seestreitkräfte der USA haben mit 17 Flugzeugträgern und 112 Zerstörern gegenüber denen Russlands ein großes strategisches Übergewicht.

Dieser ungefähre Kräftevergleich dokumentiert, welches Zerstörungspotential eingesetzt werden könnte. Käme nur ein begrenzter Teil der Atomwaffen zum Einsatz, wäre das Leben in Europa sehr wahrscheinlich ausgelöscht. Grundlegend verändert haben sich in den letzten 3 Jahrzehnten alle Parameter der konventionellen Waffentechnik: vor allem durch die Steigerung der Reichweite, der Durchschlagskraft und Zerstörungswirkung im Zielbereich. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Vernichtungswirkung konventioneller Waffen auf einer immer größeren Fläche.

Die Schäden, die durch den massenhaften Einsatz dieser Flächenwaffen hervorgerufen werden, töten und verletzen nicht nur Soldaten auf dem Gefechtsfeld sondern auch die betroffene Zivilbevölkerung. Die Kriegsstatistiken belegen, dass der Anteil der zivilen Kriegsopfer seit Beginn des letzten Jahrhunderts stetig angestiegen ist. Von den ca. zehn Millionen Toten des I. Weltkriegs waren 75 Prozent Militärtote, von den 50 Millionen Toten des II. Weltkriegs 52 Prozent, von den zehn Millionen Toten des Koreakrieges nur noch 16 Prozent und im Vietnamkrieg von 13 Millionen gerade noch zehn Prozent. In den konventionellen Kriegen wird das Sterben zunehmend vergesellschaftet. Die Unterscheidung zwischen Kombattant und zu schützender Zivilperson trägt nicht mehr.

Das vollständige Positionspapier finden Sie hier.
Rolf Bader ist Mitglied der IPPNW-Regionalgruppe Landsberg und organisiert zur Zeit den Kongress “Kultur des Friedens” am 30.09.2023 in Landsberg/Lech