
Ein Kranich warnt vor Gefahren. “Kurzfilm zur Warnung der Bevölkerung” des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (Screenshot) – Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=5TmIzOEuf4k
Eine Warnung zum ersten bundesweiten Warntag nach der Wiedervereinigung
Es kommt selten vor, dass meine Großmutter vom Krieg erzählt. Danach gefragt, winkt sie häufig ab: „Das könnt Ihr Euch gar nicht vorstellen“. Dabei sind es nicht einmal die Erinnerungen an unmittelbare Kriegshandlungen, die sie erschrecken lassen. Wie bei Patient*innen, die nach einer Chemotherapie bereits bei dem Gedanken an die Chemotherapie oder bei dem Gang in das Krankenhaus die mit der Therapie verbundene Übelkeit verspüren, löst der Gedanke an den Fliegeralarm Angst aus. Eine Angst, die sie und viele Menschen ihrer Generation noch lange begleitet, da auch über das Ende des Krieges hinaus regelmäßige Probealarme durchgeführt wurden. Diese Probealarme waren wie das atomare Wettrüsten zwischen Ost und West Ausdruck des kalten Krieges. Erst mit dessen offiziellem Ende 1989 wurde das Sirenennetz zurückgebaut und die bundesweiten Probealarme eingestellt. – Bis heute!
Heute fand der erste bundesweite Warntag seit der Wiedervereinigung Deutschlands statt. „Er soll dazu beitragen, die Akzeptanz und das Wissen um die Warnung der Bevölkerung in Notlagen zu erhöhen und damit deren Selbstschutzfertigkeiten zu stärken,“ schreibt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Während die Warnung vor Katastrophen wie Hochwassern, Bränden etc. Aufgabe der Kommunen bzw. Landkreisen und kreisfreien Städten ist, fällt die Warnung „vor den besonderen Gefahren eines Verteidigungsfalls“ in die Zuständigkeit des BBK.
Im Youtube-Video des Bundesamts erklärt ein gezeichneter Kranich, das selbstgewählte Totem für Wachsamkeit: „Krieg gab es in Deutschland lange nicht und das muss auch so bleiben. Trotzdem sind wir selbst für diesen Fall wachsam. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe beobachtet den Luftraum. Bei einem Raketenangriff oder anderen Kriegsgefahren würde das Bundesamt so schnell wie möglich warnen, damit die Menschen sich in Sicherheit bringen können.“
Während das Video zeigt, wie Menschen sich vor einem Raketenangriff in U-Bahnschächten „in Sicherheit bringen“, wird ausgeblendet, worin wirkliche Sicherheit bestehen kann: Kooperation, Verlässlichkeit, Dialog. Ebenfalls unberücksichtigt bleiben die negativen Auswirkungen bevölkerungsweiter Probealarme. Es werden diffuse Ängste vor Kriegen, Angriffen und Überfällen geschürt, geistige Mobilmachung betrieben und die Gesellschaft in einen Spannungszustand versetzt.
Investitionen in den Zivilschutz eines Landes können, so wie es im aktuellen Weißbuch dargestellt wird, als eine Reaktion auf eine sich ändernde Sicherheitslage gedeutet werden. Gleichzeitig bedeuten sie aber selbst eine Veränderung der Sicherheitslage! Sie geben keine so martialischen Bilder ab wie eine Militärparade, signalisieren aber ebenfalls eine erhöhte Bereitschaft zur gewaltsamen Auseinandersetzung und können so ihrerseits wieder Reaktionen im Sinne einer Aufrüstung bewirken.
Militärische und zivile Verteidigung gehen Hand in Hand! In diesem Bewusstsein formulierte Horst-Eberhard Richter im Mai 1982 die sogenannte Frankfurter Erklärung, eine persönliche Willenserklärung, alle kriegsmedizinischen Vorbereitungsmaßnahmen abzulehnen und sich nicht daran zu beteiligen. Darin heißt es, jede Vorbereitungsmaßnahme, die von einem möglichen Krieg ausgehe, fördere indirekt die Bereitschaft, sich auf etwas einzustellen, was um jeden Preis verhindert werden müsste. In der zwei Jahre später, 1984, verfassten Tübinger Erklärung heißt es: »Als ob in Vergessenheit geraten wäre, dass der Zweite Weltkrieg ein legalisiertes Verbrechen gegen die Menschheit gewesen ist, wird die Gesellschaft heute durch Militarisierung weiter Bereiche, so auch des zivilen Gesundheitswesens, durch Aufrüstung, Sozialabbau und Einschränkung bürgerlicher Rechte bereits in den Spannungszustand versetzt.«
Selbstschutz, Hilfeleistungssysteme, Katastrophenschutz… all das hat seine Berechtigung! Gleichzeitig gibt es ein großes Missbrauchspotential, das unter dem Begriff „Dual Use“ zusammengefasst wird und das es kritisch zu hinterfragen gilt. Zum Weiterlesen empfehle ich den Amatom-Artikel „Wenn Nachsorge besser ist als Vorsorge…“.
Jeremia Weber ist IPPNW-Mitglied.
Danke Jeremia, dass Du uns auf ein schon fast vergessenes Kapitel ziviler Kriegsvorbereitung aufmerksam machst. Fast vergessen ist auch, dass Deutschland sich im Krieg findet, ja seit etwa 20 Jahren, wir merken und sollen es auch nicht merken in unserem zivilen Leben. Deshalb wird sich auch nur im Verborgenen darauf vorbereitet, z.B auf Europas modernsten Truppenübungsplatz in der Colbitz-Lentzlinger Heide. Dort ist eine nagelneue Kampfstadt mit Infrastruktur, U-Bahn, Rathaus, Museum, künstlichen Fluß, Autobahn und Landebahn und mehr als 500 Häuser, wo anderswo Menschen, wie z.B. in Moria, seit Jahren, sie vorenthalten werden., gedacht einzig und allein zur militärischen Übung der Aufstandsbekämpfung und des Häuserkampfes bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Wie in den Jahren vorher wird auch in diesem Jahr das Militärgelände zivil besetzt und ein Friedensübungszentrum (FÜZ statt GÜZ) errichtet vom 16.9. -21.9. Außerdem laufen zur Zeit 15 Prozesse vor dem Amtsgericht Bonn zur letztjährigen Errichtung eines Friedensübungszentrums auf dem GÜZ.