
Christoph Krämer, IPPNW-Arbeitskreis „Süd-Nord”
Seit Wochen ertrage ich immer weniger das Verfolgen der Nachrichten und Fernsehbeiträge zu Syrien: Das ständige Drängen auf Krieg auf fast allen Kanälen – verbrämt mit einer Rhetorik, der man sich kaum entziehen kann, wenn man sie ohne beständige Abwehr auf sich einwirken lässt: Der massenhafte Mord an Männern, Frauen und Kindern verlange eine „klare Antwort“ der internationalen Gemeinschaft. Natürlich verlangt so ein Verbrechen, verlangt der Einsatz von Massenvernichtungsmitteln eine klare Antwort, und auch Konsequenzen – was denn sonst!
Entscheidend aber sind die Fragen, die in den Politiker-Statements nie diskutiert werden – und von den JournalistInnen, die diese Statements vielfach mit dramatischem Tremolo in der Stimme kolportieren, viel zu wenig: Hat der Einsatz von Giftgas tatsächlich stattgefunden? Vieles spricht dafür, sicher. Warum aber wurden zur Klärung dieser Frage UN-Inspektoren eingesetzt, wenn deren Antwort gar nicht erst abgewartet wird?
Bei positivem Befund: Wer hat es eingesetzt? Mit der Klärung dieser Frage sind die UN-Inspektoren gar nicht beaufttragt. Seit Obamas „roter Linie“ hätten das (kriegs-) entscheidende Motiv dafür die Rebellen und ihre Hintermänner – konkrete Hinweise für den saudi-arabischen Geheimdienst als Strippenzieher. Eine Militäraktion gegen die Rebellen wurde von ihren Protagonisten freilich nie auch nur mit einem Wort erwogen … Womit wir beim entscheidenden Punkt des Problems wären: Wer sind letztendlich die Protagonisten des Krieges in Syrien? Gestellt oder suggeriert wird ja in fast jedem Beitrag die Frage, ob „wir“ denn „genug tun“ gegen das Morden und die Gräuel an der Zivilbevölkerung. Was aber, wenn es umgekehrt wäre? Wir „viel zu viel tun“ tun, und zwar „für den Krieg“?
Zweifellos standen am Anfang des Krieges inner-syrische Konflikte. Inzwischen aber wurde er von ausländischen Mächten gekapert – für eigene Interessen. Und geschürt und bewaffnet – mit den Mitteln von Großmächten, die mit dem Niveau eines Bürgerkrieges nichts mehr zu tun haben. Und entsprechenden Konsequenzen: 100.000 Tote, 6 Mio. Flüchtlinge. Ein großes Problem dabei sind west-basierte NGOs und „zivilgesellschaftliche“ Organistionen, die z.T. höchst parteiisch und bis über beide Ohren in den Konflikt verstrickt sind (z.B. „Adopt a Revolution“)…
Mein Fazit: Es handelt sich längst um einen Stellvertreterkrieg. In den wir – die westliche Militär- und „Wertegemeinschaft“, die EU, Deutschland – tief verstrickt sind. Und den Syrien aus eigener Kraft nicht wird beenden können. Und den man schon gar nicht durch massive Bombardierung von außen beenden kann, die die Brandstifter-Biedermänner jetzt als „klare Antwort“ fordern. Wobei Akteure und Hintermänner in diesem neuen Stellvertreterkrieg ja damaligen in Afghanistan erschreckend ähneln: Wieder sind es Gotteskrieger, wieder trainiert und bewaffnet aus Saudi-Arabien, wieder protegiert von den USA und ihren Verbündeten in der „westlichen Wertegemeinschaft“. Der Afghanistankrieg dauert inzwischen seit 35 Jahren an …
Was tun? IPPNW-Deutschland hat die Eskalation des Konflikts in Syrien von Anfang an kritisch begleitet. Schon Anfang 2012, als noch kaum Information über seine Schürung von außen öffentlich zugänglich waren, haben wir diese in unserem Aufruf „Gewalt in Syrien stoppen – Krieg verhindern!“ thematisiert. Einige zwischenzeitliche Aktivitäten sind auf der Website dokumentiert.
Zur Bündelung der o.g. Überlegungen habe ich mich nun jedoch zu einem persönlichen Schritt entschlossen – zur Verfassung des Aufrufes: Die „rote Linie“ ist erreicht – kein weiterer Nahostkrieg, keine Militäraktion gegen Syrien! Ich habe ihn am 6. September 2013 an die Bundeskanzlerin gesandt. Er versammelt essenzielle Schlüsselinformationen zur entstandenen Situation (siehe v.a. der Artikel aus den Deutschen Wirtschaftsnachrichten vom 31. August 2013: „Schmutzige Deals: Worum es im Syrien-Krieg wirklich geht“), sondern auch Lösungsansätze. U.a. die für uns als Anti-Atomkriegs-Organisation zentrale Forderung, dass die auf unbestimmt verschobene UN-Konferenz für eine massenvernichtungswaffenfreie Zone Nahmittelost (ME-WMDFZ Conference) jetzt umgehend begonnen werden muss.
UnterstützerInnen des Aufrufes sind sehr willkommen.
Abschließend: Heute (8. September 2013) wird gemeldet, dass Obama Videos mit Menschen im Todeskampf an die Kongressabgeordneten verteilen lässt. Als „Beweis“ für den Gaseinsatz, für Assads Urheberschaft und für die Notwendigkeit, nun zu bombardieren. Kaum ein Medium eignet sich so gut für die Manipulation von Meinung wie Bilder (siehe BILD) …
Christoph Krämer
IPPNW-Arbeitskreis „Süd-Nord“