
“Meinungsfreiheit in Gefahr,” Veranstaltung am 26.6.2019 in Müchen. Foto: Angela Krause
Raumverbot für Veranstaltungen von BDS: Ein Bericht über den Diskussionsabend am 26. Juni 2019 in München
Es geht um den Beschluss des Münchner Stadtrats vom Dezember 2017 (wie auch in anderen Städten und vom Bundestag im Mai diesen Jahres verabschiedet), der untersagt, für Veranstaltungen oder Veranstalter öffentliche Räume zur Verfügung zu stellen, wenn diese auf „BDS“ (Boykott, Desinvestment, Sanktionen) Bezug nehmen, einen internationalen Zusammenschluss von etwa 175 vorwiegend palästinensischen Zivilorganisationen und Initiativen. Durch diese Entscheidung wurde es in München seitdem fast unmöglich, sich in öffentlichen Räumen mit der Politik des Staates Israel in den besetzten Gebieten auseinanderzusetzen und/oder über politische Lösungen des israelisch-palästinensischen Konflikts diskutieren zu wollen – ganz gleich ob Pro oder Contra in Bezug auf Positionen des BDS.
Wegen des Raumverbots haben am Mittwoch, dem 26. Juni 2019 die Humanistische Union und weitere Organisationen in München dagegen im „Freiheiz“ protestiert. Das ist eine ziemlich teure Location, privat zu mieten für Feste und Konzerte, die ohne Foyer mit engen Stuhlreihen Platz für bis zu 400 Personen bietet. Der Raum ist gut gefüllt. Vorne das Podium mit Andreas Zumach (Korrespondent u.a. der Tageszeitung „taz” bei den UN in Genf), Nirit Sommerfeld (Sängerin, Künstlerin, Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern), Peter Vonnahme (Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof i.R.), einem leeren Stuhl (vorgesehen für ein Mitglied des Stadtrats, das für den Beschluss gestimmt hat) und Lothar Zechlin (Professor für öffentliches Recht an der Uni Duisburg-Essen i.R.) als Moderator.
Am Eingang des Saales steht ein schwarzer Sarg als Symbol dafür, dass in München Artikel 5 des Grundgesetzes, das Recht auf freie Meinungsäußerung, beerdigt worden sei. Der Verfasser hatte gezögert, zur Veranstaltung zu kommen; wird hier nicht maßlos übertrieben? Er fände es z.B. richtig und angemessen, wenn dem braunen Hetzer Björn Höcke in München öffentliche Räume verboten würden; ist die historisch belastete Forderung „Kauft nicht bei Juden“ vergleichbar mit dem Aufruf zum Boykott israelischer Waren und Dienstleistungen aus den besetzten Gebieten? Doch darüber wurde an diesem Abend nicht diskutiert.
Alle auf dem Podium geben an, nicht selbst im BDS aktiv zu sein, sondern sich für eine politische Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts zu engagieren, die gefunden werden müsse nach zweimaligem Scheitern der Intifada und als Alternative zum bewaffneten Kampf für die Rechte der Palästinenser. Zudem sei ein Aufruf zum Boykott ein öffentlicher Appell mit Begründungen und eine legitime Maßnahme, Druck auszuüben, um etwas zu erreichen; als regierungspolitisches Instrument sei er zeitgenössisch allgegenwärtig (z.B. USA–Iran, EU–Russland). Zumach verweist in seinen Ausführungen u.a. auf den Namensgeber, den englischen Güterverwalter Charles Boykott, der Ende des 19. Jahrhunderts von irischen Bauern geächtet wurde und dass Boykottaufrufe historisch – mit Ausnahme der Nazis – von denen eingesetzt wurden, die eigentlich keine Macht haben: z.B. von jüdischen Organisationen gegen den glühenden Antisemiten Henry Ford in den USA der 30er Jahre, gegen die britische Kolonialregierung in Indien nach dem Zweiten Weltkrieg (Mahatma Ghandi) sowie gegen die Apartheid in Südafrika.
Peter Vonnahme, ehemaliger Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (das Gericht, das demnächst über den Einspruch eines Münchner Bürgers gegen den Beschluss des Stadtrates zu entscheiden hat), eröffnet die Veranstaltung mit einer persönlichen Erklärung und betont, dass er mit seinem Erfahrungshorizont eines langen Richterlebens keine persönliche Befangenheit sehe, wenn er sich hier auf diesem Podium engagiere. Angesichts dieses Stadtratsbeschlusses und den „Verirrungen und Verwirrungen zu diesem Thema“, könne er nicht weiter schweigend zusehen, weil er „das Recht auf freie Meinungsäußerung in Gefahr sehe“.
Für Nirit Sommerfeld, deutsche und israelische Staatsbürgerin, war der militärische Angriff auf Gaza 2009 (Operation „Gegossenes Blei“) der Grund für ihre Rückkehr nach Deutschland, nachdem sie 2007 nach Israel „zurückgekehrt“ war. Sie halte es für ein gutes Ziel, dass es „in öffentlichen Räumen keinen Platz für Antisemitismus“ geben dürfe; aber dieses generelle Verbot, sich mit BDS zu befassen, bedeute praktisch, dass über die Politik des Staates Israel und Palästina nicht mehr geredet werden darf und soll. Sie selbst habe Erfahrungen damit machen müssen (z.B. persönliche Angriffe und Absage von Auftritten). Wie könne man/sie unter diesen Bedingungen noch über die ihres Erachtens grauenhaften Zustände in Gaza und die Situation in den besetzten Gebieten (seit 1967 immerhin 52 Jahre) informieren?
Der Journalist Andreas Zumach verweist auf zwei Veranstaltungen, in denen es ihm trotz des Verbots möglich war, zum Thema öffentlich Stellung zu nehmen und die Gleichsetzung der Kritik an der Politik des Staates Israel mit Antisemitismus zu kritisieren: am 7. November 2018 an der Uni München (abrufbar im Internet) sowie am 9. März durch die Verleihung des Göttinger Friedenspreises an die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden“. Beide seien im Vorfeld und danach mit heftigen, diffamierenden Angriffen und dem Vorwurf des „Antisemitismus“ verbunden gewesen. Knapp informiert er über die Ziele des BDS und eine seit Jahren mit erheblichen finanziellen Mitteln geführte israelische Kampagne zur „gezielten zivilen Eliminierung“ einflussreicher Personen und des BDS insgesamt (siehe „Offener Brief der IPPNW an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages 70 Jahre Grundgesetz – Das Recht auf Meinungsfreiheit ist in Gefahr).
Gegenpositionen waren an diesem Abend nicht vertreten. Insbesondere war kein Vertreter des Münchner Stadtrats bereit, der Einladung zu folgen und den Beschluss vom Dezember 2017 zu verteidigen. Stellvertretend wurden Passagen eines Interviews von Radio Lora mit dem CSU-Stadtratsmitglied und Mitglied im Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern Marian Offmann vorgetragen. Die gesamte Veranstaltung und die anschließende Diskussion wurden aufgezeichnet (im Internet abrufbar: https://youtu.be/enZ_FKnyT7Y).
Die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichts wird für Juli erwartet. Es ist abzusehen, dass keine Seite eine Pro-Entscheidung für die andere Seite akzeptieren und die nächste Instanz anstreben wird – bis zur höchsten Instanz. Vonnahme schätzt, dass dies insgesamt zwischen fünf und acht Jahren dauern könne. Mehr Informationen darüber, worum es hier eigentlich geht, könnten und sollten die Münchner Stadtgesellschaft interessieren. Die Verbotsentscheidung von 2017 gehört auf den Prüfstand; das komplexe Thema des israelisch-palästinensischen Konfliktes (inclusive Forderungen des BDS) verdient ebenfalls eine engagierte öffentliche Diskussion. Der globale Vorwurf des Antisemitismus ist weder Ersatz für eine differenzierte Argumentation noch sollte er dafür verwendet werden, eine öffentliche Diskussion zu unterbinden.
Zum Weiterlesen: Leerer Stuhl, volles Haus: Meinungsfreiheit und „das Kartell des Schweigens“ von Mandy Tröger: https://medienblog.hypotheses.org/6077
Dr. Hansjörg Ebell ist Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.