Für Feindbildabbau und Ächtung der Atomwaffen

Prof. Dr. Ulrich Gottstein, Mitbegründer der deutschen Sektion der IPPNW und Ehrenvorstandsmitglied IPPNW

Prof. Dr. Ulrich Gottstein, Mitbegründer der deutschen Sektion der IPPNW und Ehrenvorstandsmitglied

Am 6. August gedenkt die japanische Bevölkerung jedes Jahr der über 100.000 Menschen, die bei dem Angriff eines einzigen Flugzeugs mit einer einzigen Bombe über der Stadt Hiroshima umgekommen waren. Die erste Atombombe, die je über einer Stadt explodierte.

Die Wissenschaft hatte es so weit gebracht, Menschheit und Natur zerstören zu können, wie Albert Einstein es vorausgesagt hatte: „Die entfesselte Macht des Atoms hat alles verändert, nur nicht unsere Denkweise …Wir brauchen eine substanziell neue Art des Denkens, wenn die Menschheit überleben will“.

Die Vernichtung von Hiroshima und Nagasaki durch Atombomben war ein besonders schlimmes Verbrechen an der „Ehrfurcht vor dem Leben“, die Albert Schweitzer angemahnt hatte. Die Bomben waren auch zur Beendigung des Krieges gegen Japan nicht mehr erforderlich, sondern waren eine Machtdemonstration. Amerikanische Historiker, Politiker und Militärs, u.a. Dwight D. Eisenhower und Douglas Mac distanzierten sich scharf von der Behauptung, die Atombombenabwürfe seien notwendig gewesen. Japans Waffenindustrie war bereits zu über 80% zerstört, und seine Armee nicht mehr in der Lage, die Verteidigungskämpfe fortzusetzen. Daher hatte die japanische Regierung die Kapitulation wenige Tage vor der Bombardierung beschlossen. Die zweite Atombombe über Nagasaki war bezüglich der Kriegsbeendigung vollends „unnötig“, sie diente der Auswertung der neuen Technologie einer Plutoniumbombe.

Sehr bald nach dem Krieg begann ein nukleares Wettrüsten, besonders zwischen den USA und der Sowjetunion, die aus gegenseitiger Feindschaft und Misstrauen eine Droh- und Verteidigungsstrategie aufbauten, die bis zur Androhung gegenseitiger Vernichtung, der „mutual assured destruction“, reichte. Es wurden Atomraketen, Atombomben, Atomgeschosse und Atomminen konstruiert mit einer Gesamtsprengkraft von über 15.000 Megatonnen mit denen man 15.000 Großstädte zerstören und 240 Milliarden Menschen, also das 60-fache der Weltbevölkerung töten konnte.

Diese von Hass gesteuerte Rüstungs- und Drohpolitik dauerte ungezügelt bis 1986, als Michail Gorbatschow zu einem Wechsel der internationalen Politik und zu einem neuen Denken aufrief, und damit das Ende des Kalten Krieges ermöglichte. Aber ist das Ende wirklich erreicht, oder sind die auf gegenseitigem Misstrauen und militärischem Denken beruhenden Gefahren nicht doch noch weiterhin aktuell? Leider sehr!

Inzwischen sind neun Nationen mit Atomwaffen ausgerüstet, und weitere werden hinzukommen, wenn keine Ächtung durch die Vereinten Nationen erfolgt.

Wir waren alle voller Zustimmung und Hoffnungsfreude, als der neue US-Präsident Barack Obama versprach, für eine Welt ohne Atomwaffen zu arbeiten. Heute wissen wir, dass es garantiert nicht gelingen wird, solange nicht alle Menschen eindeutig von den Regierenden verlangen, sich für eine Ächtung der Atomwaffen einzusetzen, und außerdem erklären, keine Regierung mehr zu wählen oder zu tolerieren, die diesem Wunsch nicht nachkommt.

Leider mussten wir wieder zur Kenntnis nehmen, dass die Kultur von Gewalt und Feindbildern bei vielen Politikern stärker ist, als das Verlangen nach einer Kultur der Gewaltlosigkeit, des Dialogs und der Versöhnung und einer friedlichen Koexistenz. Präsident Barack Obama hatte im US-Kongress vorgeschlagen, die Zahl der augenblicklich 1.800 US amerikanischen atomaren Sprengköpfe, mit denen man also 1.800 Großstädte mit ihrem Umfeld vernichten kann, als ersten Schritt auf 1.000 zu reduzieren. Sogleich aber protestierten die Republikaner gegen ein solches Vorhaben mit der Argumentation, „dann würden die Feinde Amerikas ermuntert, ihrerseits atomar aufzurüsten, um zu den Vereinigten Staaten aufzuschließen oder sie sogar zu überflügeln“. (FAZ 17.2.2012).

Wir sehen also, dass die Perzeption vieler Politiker ist, die „Feinde“ werden Übles planen, und daher müsse man sie mit der Drohung gewaltiger Übermacht zur Einhaltung von Nicht-Krieg zwingen können.

Wir müssen den Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki Moon, den Papst, den Genfer Weltkirchenrat, die Weltgesundheitsorganisation, die Parlamente und Regierungen und alle Bürger-Vereinigungen auffordern, sich eindeutig und beständig für die Ächtung und Abschaffung aller Atomwaffen einzusetzen. Vor Jahren war es ja auch gelungen, chemische und bakteriologische Waffen durch die Vereinten Nationen zu verbieten und zu ächten.

Wir müssen hier in Deutschland unsere Regierung energisch aufrufen, den Abzug aller noch in Deutschland gelagerten NATO-Atombomben zu fordern. Es reicht nicht, dass vor knapp zwei Jahren der Deutsche Bundestag dem Aufruf von Bundesaußenminister Westerwelle folgte und den Abzug verlangte, wenn die Forderung nicht anschließend auch durchgesetzt wird.

Im März dieses Jahres hat das Präsidium der internationalen IPPNW, die über 100.000 Mitglieder in 60 Nationen hat, folgende Erklärung verabschiedet und den Vereinten Nationen übergeben: „ ….Es gibt nur einen Weg, sicherzustellen, dass Atomwaffen niemals benutzt werden. Das ist eine Nuklearwaffenkonvention, die sofort verhandelt und dann beschlossen werden muss. Alle Nuklearwaffen müssen vernichtet werden, und alle Staaten dürfen zukünftig keine Atomwaffen erwerben oder wieder erwerben“.

Diese Forderung ist auch jetzt wieder besonders aktuell. Ein kriegerischer Einsatz des Atomwaffen-Staates Israel gegen das Land Iran droht. Die Konsequenzen einer Bombardierung sind gar nicht abzusehen. Wir verlangen, dass die USA als „Schutzmacht“ Israels, einen Angriff Israels auf die iranische Atomanlage in Natanz verbieten, dessen Folge die Verstrahlung Hunderttausender von Menschen und der Beginn eines kriegerischen und terroristischen Flächenbrandes sein kann. Und wir fordern von Iran, dass keine Atomwaffen gebaut werden, und dass die Entwicklungslabors der Überwachung durch die IAEA zugänglich gemacht werden.

Nur wenn wir alle gemeinsam uns für Frieden und Mitmenschlichkeit einsetzen, für den Abbau von Feindbildern und für die Ächtung der Massenvernichtungswaffen, können wir für die Menschheit Frieden und „Bleiberecht“ auf dieser Erde erwirken, und vor der Generation unserer Kinder, Enkel und den nachfolgenden Generationen bestehen.

Wir müssen mithelfen, von einer Kultur der Gewalt hin zu einer Kultur des Friedens zu gelangen.

Prof. Dr .Ulrich Gottstein