Das Ende des INF-Vertrages: Welche Rolle kann Europa jetzt einnehmen?

Egon Bahr Symposium 2019 in den Räumen der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin am 23.09.2019, Foto: IPPNW

Der INF-Vertrag ist ein historisches Rüstungskontrollabkommen. Er war seit dem 1. Juni 1988 in Kraft und galt in den letzten drei Jahrzehnten als ein zentrales Element der internationalen Sicherheitsarchitektur. Der als Wendepunkt des Kalten Krieges geltende Vertrag führte zur Abschaffung aller landgestützten ballistischen Raketen und Marschflugkörper mit kürzerer Reichweite von 500 bis 1.000 Kilometern sowie mit einer mittleren Reichweite von 1.000 bis 5.500 Kilometern.

Am 1. Februar 2019 kündigte Donald Trump für die Vereinigten Staaten von Amerika den Vertrag auf, kurz darauf danach dann auch Präsident Putin für Russland. Beide Seiten hatten sich gegenseitig der Vertragsverletzung beschuldigt. Damit endete der Vertrag am 2. August 2019.

Was bedeutet das Ende des INF Vertrages für Europa? Mit dieser Frage beschäftigte sich das Egon-Bahr-Symposium 2019 am 23. September 2019 in den Räumen der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Das Programm erstreckte sich über fünf Stunden und beinhaltete zwei Panels, auf denen geladene Expert*innen, Wissenschaftler*innen und Politiker*innen untereinander und unter Einbeziehung des Publikums zu den Folgen des Endes des INF-Vertrages für Europa diskutierten.

Als Keynote der Veranstaltung sollte Staatsminister Niels Annen eine Rede halten. Da er aufgrund des UN-Gipfels in New York verhindert war, übernahm Prof. Dr. Götz Neueck vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) und IPPNW-Beiratsmitglied den Grundgedanken der Veranstaltung zu skizzieren.

Im Rahmen des ersten Panels wurde die Frage erörtert, wie nach dem Wegfall des INF-Vertrages ein neues atomares Wettrüsten in Europa verhindert werden könnte. Heidemarie Wieczorek-Zeul, Vorsitzende des Willy-Brandt-Kreises plädierte in ihrer Einführungsrede für eine Unterstützung der Bewegung für atomare Abrüstung. Im Rahmen dessen, sollte die Bundesregierung ihre Ablehnung des Atomwaffenverbotes überdenken.

Auch die beiden ausländischen Vertreter Russlands und der USA Dimitri Stefanovich, Visiting Fellow am IFSH und Paul Walker ebenfalls vom IFSH, befürworteten nukleare Abrüstung. Stefanovich forderte mehr Dialog zwischen der NATO, Russland und der USA in Bezug auf nukleare Abrüstung, während Walker sich für eine Unterstützung des UN-Atomwaffenverbotes aussprach und befand, dass Russland und die USA ihre Atomwaffenprogramme überdenken sollten. Dr. Ute Finkch-Krämer, Co-Vorsitzende des Sprecherrates der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung und Vorstandsmitglied des Bundes Soziale Verteidigung, wies darauf hin, dass das Geld, das weltweit für nukleare und konventionelle Aufrüstung genutzt werde, für den Klimaschutz fehle.

Das zweite Panel befasste sich mit der Frage, welche Rolle Europa zukünftig zwischen der USA, Russland und China einnehmen könnte. Ex-Staatsminister Dr. Gernot Erler hielt ein Impulsreferat, indem er drei Punkte als dringlich für die EU-Politik nannte. Zum einen sei das die friedliche Lösung des Krieges in der Ukraine, dann der Klimaschutz, der in seinen Augen das zivile Hauptprojekt der EU darstellen sollte und als drittes die Problematik der „divergent narratives“ zwischen der EU und Russland. Notwendig ist in seinen Augen mehr Dialog, der in langfristig angelegten Vertrauensprojekten münden müsse. Die anschließende Diskussion drehte sich zum großen Teil um die Unterschiede zwischen der westlichen Welt und Russland und China.

Was mir als Zuhörerin auffiel ist, dass die meisten der teilnehmenden Redner*innen auf diese Unterschiede hinwiesen, ohne dabei die hegemoniale Rolle des Westens weiter kritisch zu erörtern, geschweige denn anzusprechen. Die gesamte Debatte war in sehr eurozentristischen Ton gehalten und nicht von einer reflektierten Haltung geprägt, die Deutschland und Europa in meinen Augen einnehmen sollte. Um als Vermittlerin im Konflikt zwischen Russland und der USA und der militärisch wie wirtschaftlichen wachsenden Macht Chinas zu fungieren, denke ich, dass es für die EU wichtig ist, die kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Differenzen zu China und Russland nicht nur wahrzunehmen und zu akzeptieren, sondern in ihrer Daseinsberechtigung und Wirkung mit der europäisch-westlichen gleichzustellen.

Nichtsdestotrotz waren beide Debatten nicht nur interessant, sondern haben auch die deutliche Haltung gegen ein globales atomares Aufrüsten zum Ausdruck gebracht. Auch die Wichtigkeit der vermittelnden Rolle Europas wurde von Seiten der Vertreter*innen der Bundesregierung und anwesenden Expert*innen sowie Wissenschaftler*innen betont.

Wie Niels Annen in seiner geplanten Rede – die für Gäste ausgedruckt zur Verfügung stand – schreibt: „Wir werden nicht müde werden, Themen der Abrüstung und Rüstungskontrolle auf allen multinationalen Strängen voranzutreiben, in den VN, der NATO, der OSZE. Sicherheit kann eben nur miteinander und nicht gegeneinander geschaffen werden.“

Marlene Langenbucher de Olavarrieta ist Studentin des Kombi-Bachelorstudiengangs „Sozial-und Kulturanthropologie und Politikwissenschaft“ und derzeit Praktikantin in der Geschäftsstelle des IPPNW in Berlin.