Drohgebärden damals wie heute: 70 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki

Prof. Dr. Ulrich Gottstein, Foto: Isolde Asbeck

Prof. Dr. Ulrich Gottstein, Foto: Isolde Asbeck

Am 6. und 9. August 1945 warfen die USA mit je einem einzigen Flugzeug je eine Bombe über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki ab, um der Welt und insbesondere der Sowjetunion ihre überwältigende Macht zu demonstrieren. Die Kapitulation der japanischen Regierung erfolgte ein paar Tage danach, wie sie ohnehin schon beschlossen war. Ich war damals bereits seit einem Jahr in Kriegsgefangenschaft, und wir glaubten, es habe sich um besonders starke Luftminen gehandelt, wie ich sie von den Bombenangriffen auf Berlin kannte. Aber es waren Atombomben, die schlagartig 92.000 Menschen zerschmetterten, verbrannten und tödlich verstrahlten. Zum Jahresende waren insgesamt 220.000 Menschen gestorben. Das körperliche und seelische Leid hält bis zum heutigen Tage an, vor allem Krebserkrankungen und Depressionen. Das wird wahrscheinlich durch die strahlenbedingte genetische Alteration auch in den folgenden Generationen der Fall sein.

Man hoffte damals, dass es nie wieder Krieg und insbesondere keinen Krieg mit Atomwaffen geben werde, aber wie Sie ja alle wissen, setzte bald nach 1945 ein nukleares Wettrüsten ein, zuerst zwischen den USA und der Sowjetunion, dann in immer mehr Nationen. Jede Woche wurden Atombomben-Testexplosionen durchgeführt, die zur Verstrahlung der ansässigen Bevölkerung oder der „Downwinders“ weiter entfernt führten, aber auch zur radioaktiven Verseuchung der gesamten Erde, des Wassers und der Luft.

Die Krebserkrankungen und Zahlen an Missbildungen nahmen weltweit zu, wobei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die über 2.100 Atombombentests, von denen 1.700 bis 1986 über der Erde stattfanden, sowie die Zwischenfälle und Unfälle an Atomkraftwerken schuldig sind. Darüber berichtet ja unsere Ausstellung im Frankfurter Haus am Dom, die die Gesundheitsgefahren durch radioaktive Strahlung, vom Uranabbau bis zu den Atomwaffen und dem strahlenden Müll, zeigt.

Leider müssen wir auch über die Drohgebärden der inzwischen neun Atomwaffenstaaten berichten, wie Sie ja auch den Medien entnehmen können. Sehr gefährlich war vor kurzem die Mitteilung, dass die russische Generalität die Atomstreitmacht auf Order von Präsident Putin in akute Einsatzbereitschaft setzte, als der Krimkonflikt besonders heiß war, und dass die USA Atomraketen und Raketenabwehrsysteme an den Grenzen zum Baltikum stationieren will oder wollte. Die Gefahren eines Atomkriegs bestehen also weiterhin, und bestanden insbesondere zu Zeiten, als die USA und die Sowjetunion sich in den achtziger Jahren als Todfeinde gegenüberstanden, und der Ausdruck „Mutually Assured Destruction“ (MAD), also „gegenseitige gesicherte Vernichtung“, gebraucht wurde.

In dieser Phase größter Gefahr für die Menschheit und das Leben auf unserem Planeten rief der US-Professor Bernard Lown zur Gründung einer blockübergreifenden Ärztebewegung auf und konnte seinen Kollegen aus der Sowjetunion Prof. Evgeny Chasow zur Zusammenarbeit gewinnen. 1981 wurden in Airlie House nahe Washington D.C. die „Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs“ gegründet; mit zwei Kopräsidenten: dem amerikanischen und dem sowjetischen. Die IPPNW wuchs rasch, und wir informierten als ÄrztInnen die Bevölkerung und die Politiker sowie Regierungen über die Folgen eines Atomkriegs für Leben und Gesundheit und erklärten, dass wir im Fall eines Atomkriegs nicht würden helfen können.

Für diese wissenschaftlich seriöse Aufklärungsarbeit erhielt die IPPNW 1984 den UNESCO-Friedenspreis und 1985 den Friedensnobelpreis. Die IPPNW-Sektionen die in den verschiedenen Ländern ca 100.000 ärztliche Mitglieder haben, setzen diese Arbeit fort. Wir gründeten die ICAN, die “International Campaign to Abolish Nuclear Weapons“, die inzwischen von über 110 atomwaffenfreien Staaten, u.a. auch Norwegen, Mexiko und Österreich, sowie Tausenden von Bürgerinnen und Bürgern getragen wird.
(…)

Lassen wir uns nun von der Musik und dem Engagement der jungen MusikerInnen in das Reich der Musik entführen, wobei unsere Gedanken bei den Opfern von Hiroshima und Nagasaki sein werden, mit dem festen Entschluss, uns für „inneren und äußeren Frieden“ zu engagieren: für die Verhütung eines Atomkriegs, für die Ächtung und das Verbot von Atomwaffen weltweit.

Prof. Dr. Ulrich Gottstein ist Initiator und Mitbegründer der deutschen IPPNW – Dies ist ein Auszug aus seiner Rede vom 18. Juli 2015 an der Hochschule für Musik und Gestaltende Kunst Frankfurt am Main anlässlich des Gedenkkonzerts „70 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki.“