Der Medizinstudent Conrad Matthes ist mit dem Austausch-Programm “famulieren und engagieren” derzeit für zwei Monate in Izmir (Türkei). Hier war er auch zu Gast in dem Krankenhaus, in dem syrische Migranten behandelt werden. Er besuchte außerdem die griechische Insel Chios, wo er mit Flüchtlingen ins Gespräch kam, die sich in andere europäische Länder durchschlagen wollten:
Am Donnerstag und Freitag habe ich zwei Vormittage in der “syrischen” Poliklinik in Izmir verbracht. Sie befindet sich passenderweise im Stadteil Basmane, wo die meisten Menschen aus Syrien leben. Auch hier gilt: Money talks – die Spanne zwischen Daumen und Zeigefinger bestimmt, wer wo unterkommt. Und so schlafen Menschen auf der Straße neben den Moscheen, während andere in Hotels unterkommen. Und das alles nebeneinander. In der Poliklinik habe ich Dr. Deniz mit einer Krankenschwester und dem Übersetzer Murat begleitet. Die meisten PatientInnen befinden sich irgendwo im Lebensabschnitt zwischen ungeboren und zehn Jahren. Da niemand Englisch spricht, beschränke ich mich aufs Zuschauen. Einigen PatientInnen sieht man die Strapazen sehr an, sie wirken niedergeschlagen und angestrengt. Die meisten, denen ich begegnet bin, haben allerdings einen guten Eindruck auf mich gemacht. In die Poliklinik kommen nur registrierte SyrerInnen, die dazu tendieren, bis zur Rückkehr nach Syrien in der Türkei zu bleiben. Die Ausstattung der Poliklinik beschränkt sich auch hier auf einfache Mittel. Allerdings ist Dr. Deniz bei der Überweisung in die Krankenhäuser nicht zimperlich, so dass die meisten hoffentlich eine gute weiterführende Behandlung erhalten. Als SyrerIn kann man sich registrieren lassen, allerdings gibt es seit Dezember ein Rückführungsabkommen mit der EU, weshalb die, die weiter nach Europa möchten, sich nicht registrieren lassen und dadurch auch keinen Zugang zu gesundheitlicher Versorgung bekommen. Das Abkommen wird noch nicht strikt umgesetzt, da sich die Türkei und EU in vielen Punkten der Umsetzung uneinig sind.
Am Samstag bin ich dann auf die griechische Insel Chios gefahren, eine Insel, die neben Kos und Lesbos traurige Berühmtheit erlangt. Landschaftlich gleicht die Festung Europa dem türkischen Badeparadies Cesme sehr. Es sind ja auch “nur” circa 7 Kilometer an der engsten Stelle. Zeitgleich mit meiner Fähre schipperte auch ein Schiff der Küstenwache mit etwa 20 Menschen an Bord in den Hafen ein. Spätestens hier und nach meiner schnellen Passkontrolle fällt mir wieder auf, wie leicht es ist, mit einem deutschen Pass durch die Welt zu tingeln. Direkt neben der Anlegestelle für BesucherInnen aus der Türkei gibt es Behelfsunterkünfte/Holzhütten für Geflüchtete, die sich in einem sehr schlechten Zustand befinden. Es gibt dort keine Absperrungen und so können sich die Menschen immerhin frei über die Insel bewegen. Im Park bin ich dann mit einer Gruppe Syrer ins Gespräch gekommen. Irgendwie hat die Kommunikation halb auf Türkisch und halb auf Englisch recht gut funktioniert, so dass wir über einiges sprechen konnten.
Omar erzählt, wie sie durch die Türkei geflohen sind, eine Weile in Izmir verbracht haben und dann mit dem Boot nach Chios gekommen sind. Ich erzähle ihm, was ich so mache in Izmir, aber ich schäme mich, dass ich Anfang Oktober ins Flugzeug steige. während er sich mit der Familie irgendwie nach Ungarn durchschlängeln muss. Er fragt, ob ich weiß, wo man Pässe herbekommt und ob ich Menschen in Ungarn kenne, die ihm helfen können. Darauf weiß ich keine Antwort. Als er mir erzählt, dass er von Griechenland nach Mazedonien möchte, denke ich an die neuesten Nachrichten. Ich erzähle ihm also von den Problemen an der mazedonischen Grenze und frage mich zeitgleich, ob ich die Situation dort überhaupt verstehe mit den wenigen Artikeln, die ich gelesen habe. Kann ich ihm überhaupt die Information geben, die für ihn nicht nur eine irgend eine Nachricht ist, sondern Realität werden wird? Mit Hassan, einem iranischen Geflüchteten rede ich auch eine Weile. Er ist Umweltingenieur im Iran, kritisiert daher öfter die Regierung und mag den Islam nicht. Deshalb musste er gehen. Er erzählt mir, wie schwierig es für ihn ist, mit den Syrern unterwegs zu sein, da er mit dem Islam nichts am Hut haben will, aber es hier nicht erwähnen darf. Ausgestattet mit einem UNHCR-Flüchtlingsstatus hofft er auf Asyl in Deutschland. Am Ende tauschen wir Nummern aus und ich ärgere mich, dass ich nicht mehr tun kann.
Ich sehe die Menschen hier, fühle mich ein wenig wie ein Sensationstourist und lese dazu die Nachrichten über Freital, Suhl und Heidenau, kenne die Lage in der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen recht gut und auch die Stimmung in der Stadt und ich werde richtig wütend, wenn ich darüber nachdenke. Kann es denn so schwer sein, Mitgefühl zu empfinden? Die Krönung kam dann zum Schluss auf der Busfahrt zurück nach Izmir. Ein 21-jähriger Türke fragt, welche türkische Partei ich gut finde. Ich sage, fällt mir schwer, aber am ehesten die HDP. Er macht nur den Wolfsgruß und gibt mir zu verstehen, dass seine die MHP ist, die faschistische Partei, auf deren Konto ca. 700 politische Morde gehen – Als er mir dann erzählt, wie toll Hitler sei und das er ein Fan von Darwin ist, muss ich mich unglaublich zusammenreißen, dass ich nicht gleich den Platz wechsle, was nicht mal möglich gewesen wäre, da der Bus voll war. Zum Glück kam mir der Gedanke, dass es doch ganz gut ist, mal mit jemanden zu diskutieren, der nicht meiner Meinung ist. Und siehe da, nach ein paar Einwürfen wird er still und will nach ein Paar Minuten schweigsamer Uneinigkeit nur noch über Fußball reden. So nutze ich die “Chance”, um wenigstens mein Türkisch ein bisschen zu verbessern.
Conrad Matthes ist Medizin-Student aus Giessen.