„Mein Hiroshima war einfach weggeblasen“

Begegnung mit einer Atombombenüberlebenden

In der Koyo Daiichi Klinik in Hiroshima, die sich seit 1972 um Überlebende der Atombombenabwürfe kümmert

In der Koyo Daiichi Klinik in Hiroshima, die sich seit 1972 um erkrankte Überlebende der Atombombenabwürfe kümmert

„Es war ein sonniger Sommertag im August. Ich war damals 20 Jahre alt und habe in einer Kaserne gearbeitet“, erinnert sich die betagte Dame mit einem kurzen Lächeln. Sie schaut uns Ärzte mit festem Blick an. Dann schweift ihr Blick wieder in die Ferne. „Ich arbeitete in einer Munitionsfabrik für unsere Armee. Die war auf dem Kasernengelände in einem Bunker unter der Erde versteckt.

Dann kam der Schlag … Ein heftiger Schock! Ganz plötzlich. Stärker als ein Erdbeben! Der ganze Bunker wurde massiv erschüttert. Das Licht fiel aus. Ein paar kurze Schreie, dann war es totenstill. Ich tastete mich durch die Räume bis zur Treppe. Aber ich konnte nicht mehr nach oben gehen. Alles war voller Steinbrocken, Holzbalken, Schutt und Geröll. Einige Soldaten lagen unter den Trümmern – die meisten tot oder verwundet, eingeklemmt und geschockt. Nur ein dünner Lichtstrahl fiel durch eine Ritze ganz oben. Ich muss hier raus und schnell Hilfe holen, dachte ich. Über den ganzen Schutt bin ich dem Licht entgegen geklettert. Mit meinen Händen habe ich die lockeren Steine und Balken aus dem Weg geräumt.“ Die 87-zig jährige Dame streckt ihre abgemagerten, kleinen Hände vor. „Es war so anstrengend, dass ich zeitweise meinte, ich schaffe es nicht. Aber ich habe nicht aufgegeben. Die Männer brauchten doch dringend Hilfe! Je höher ich kam, umso heißer wurden die Luft und die Steine. Endlich gelang es mir doch, mich durch eine kleine Lücke hindurchzuziehen. Mühsam stand ich auf, um nach Hilfe zu suchen.

Doch jetzt kam der Schock meines Lebens! Meine Kaserne war weg. Meine ganze Stadt war weg oder lag in Trümmern am Boden! Mein Hiroshima war einfach weggeblasen – von einer einzigen Bombe. Nur ein paar wenige Steinhäuser waren übrig geblieben. Zum ersten Mal konnte ich von den wenigen Resten des Kasernengeländes aus bis zum Hafen sehen. Überall lagen Tote und Schwerverletzte herum. Blutverschmierte Kleidung, Steine und Straßen. An vielen Stellen brannte es. Ich hörte die Menschen wimmern und stöhnen. ‚Wasser, Wasser!’ riefen einige flehend.“ Die alte Dame verstummt. Tränen laufen ihr über die Wangen. „Es war so schrecklich, so unfassbar! Ich werde es nie vergessen! So etwas darf nie wieder geschehen, nie wieder!“

Dies war der kurze, aber sehr bewegende Bericht einer Frau, die die Atombombe von Hiroshima in einem Bunker überlebte – eine „Hibakusha“, siehe Foto. Sie ist Patientin in der Koyo Daiichi Klinik in Hiroshima, die sich seit 1972 um erkrankte Hibakusha kümmert.
Chefarzt Ryojun Yoshida hatte eine kleine Gruppe IPPNW-Ärzte aus Deutschland zu einem Besuch eingeladen, um seine, aus einer Selbsthilfegruppe entstandene Klinik kennenzulernen. Nun möchte er auch für die Kinder von Fukushima ein Gesundheitszentrum gründen (www.clinic-fukushima.jp/info@clinic-fukushima.jp).

Unser besonderer Dank geht auch an Nobuo Manabe (Tigerman), ohne dessen perfekte Übersetzung wir viele Details nicht erfahren hätten.

Ihr Dr. Martin Sonnabend aus Hiroshima

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