Von Diyarbakir nach Suruc: Ein Blick auf Kobane

Das staatliche Flüchtlingslager bei Suruc. Foto: IPPNW

Das staatliche Flüchtlingslager in Suruc. Foto: IPPNW

Wir fahren von Diyarbakir (Amed) nach Suruc über Urfa. Es ist ungewöhnlich kalt. Es schneit. Die Steine in dieser weiten und felsigen Landschaft wirken wie mit Puderzucker bestreut. Dazwischen kleine Ortschaften mit Schafherden.

Auf halber Strecke Richtung Urfa passieren wir die Stadt Siverek. Dort wurde 1998 der Musa Anter-Friedenszug von Brüsssel nach Diyarbakir vom türkischen Militär gestoppt und nach Istanbul zurück eskortiert. Zwei aus unserer Gruppe, Nesmil und Gisela, hatten damals daran teilgenommen. Siverek ist bekannt durch den Clan der Bucaks, dessen Mitglieder für Verflechtungen mit dem sogenannten tiefen Staat bekannt geworden sind.

Über Urfa fahren wir weiter nach Suruc, eine ärmlich wirkende Stadt, ca. zehn Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Auf der anderen Seite der Grenze liegt Kobane, die umkämpfte und zerstörte Stadt. Der Vorsitzende der Partei des Friedens und der Demokratie (BDP) sagt, dass er seit dem Beginn des Krieges um Kobane im September keine ruhige Minute mehr hatte. In der ersten Zeit hatte das türkische Militär Wasserwerfer gegen aus Kobane fliehende Menschen eingesetzt, später wurden die insgesamt ca. 30.000 Flüchtlinge durchgelassen und von der kurdischen Bevölkerung in Suruc mit Wasser und Nahrungsmitteln versorgt. Viele flohen, nachdem sie von den Schrecken in Sengal gehört hatten. Die ersten Flüchtlinge wurden bei Privatleuten untergebracht, später in Zelten, die die Kommune stellte. Der türkische Staat stellte lediglich für 5.000 Personen in Kasernen und einer Grundschule Flüchtlingsunterkünfte zur Verfügung.

Uns berühren die Berichte von den Schreienden an der Grenze, die verletzt nicht durchgelassen wurden, den Weinenden in den Zelten, der Ungewissheit, welche Toten gebracht werden. Trauer, Angst, Schmerzen, Nässe, Kälte und Hunger.

Kurdische Menschen aus der Türkei bildeten eine 25 Kilometer lange Menschenkette entlang der Grenze, um diese zu bewachen. Immer wieder wurden sie mit Wasserwerfern auseinander getrieben. Durch die entstandenen Lücken wurden von den türkischen Soldaten ISIS Kämpfer und Waffen durchgeschleust.

Inzwischen wird von 10.000 Menschen berichtet, die schon nach nach Kobane zurückgekehrt sind. Sie dürfen die Zelte aus Suruc mitnehmen. Im zerstörten Kobane fehlt es an allem, besonders an Trinkwasser und Elektrizität (man hilft sich mit Generatoren), an großem Baugerät, Bulldozern u.a. Unter den Trümmern liegen verwesende Leichen. Die Seuchengefahr ist hoch. In den Flüchtlingszelten von Suruc wird vor allem dringend Kindernahrung benötigt. Die internationale Hilfsbereitschaft war zu Beginn des Krieges groß; nun ist sie deutlich zurückgegangen.

Die BDP beklagt, dass der türkische Staat sie nicht unterstützt und dem Morden tatenlos zugesehen hat. Im Gegenteil wurde ISIS logistisch und mit Waffen unterstützt. ISIS, so sagen sie, wird benutzt um die Kurden zu schwächen. Sie empfinden sich als Spielball im Spiel der mächtigen Staaten.

Später fahren wir an die Grenze. Im Hintergrund sehen wir die zerstörte Stadt. Das türkische Militär auf der einen Seite und die für uns nicht sichtbare YPG auf der anderen Seite bewachen die Grenze. Lebensmittel werden durchgelassen, Baumaterial noch nicht. Drei Bulldozer ließ der Gouverneur ohne Genehmigung der Zentralregierung passieren.

Der 26./27. Januar 2015 gilt als Tag der Befreiung von Kobane.

Einige Kilometer entfernt außerhalb von Suruc sehen wir ein Flüchtlingscamp, das am 25. Januar also in den letzten Tagen des Krieges eröffnet wurde. Es wurde von der türkischen Hilfsorganisation AFAD mit Geldern des türkischen Staates errichtet und bietet Platz für 30.000 Flüchtlinge. Zur Zeit leben dort ca. 20.000, davon sind 90% KurdInnen. Die Kinder werden von Lehrern und Lehrerinnen unterrichtet, die im Lager wohnen und selbst Flüchtlinge sind. Das Camp gilt als das beste und modernste Flüchtlingslager der Türkei, wie uns der Sprecher berichtet. Jeder Flüchtling bekommt 85 Lira im Monat, das sind ca. 31 Euro zusätzlich zu Verpflegung und Hygieneartikeln.

Zurück in Urfa beim abendlichen Einkauf von Süßigkeiten haben wir das Gefühl, uns in einer anderen Welt zu befinden.

Christa Blum ist derzeit mit der IPPNW-Delegationsreise durch die Türkei/Kurdistan unterwegs.