Wir sind weiter mit unseren Gästen aus Diyarbakir in Deutschland unterwegs. Die zweite Woche waren wir in Berlin.
Überall wurden wir freundlich empfangen und die Diskussion mit den engagierten jungen Leuten aus dem kurdischen Teil der Türkei stieß auf großes Interesse, z.B. bei der BAfF, der Bundesarbeitsgemeinschaft der Behandlungszentren für Flüchtlinge und Folteropfer oder bei der Bundesärztekammer.
Über zwei Besuche in Neukölln möchte ich hier etwas ausführlicher berichten, weil sie zeigen, wie unterschiedlich Kurden und Türken in Deutschland weiter behandelt werden und wie sich der türkisch-kurdische Konflikt auch hier auswirkt. Der Sozialarbeiter Mustafa Altintop hat während seiner Ausbildung als Praktikant in Berlin beim Verein Yekmal e.V. (den Eltern aus Kurdistan) gearbeitet und dort für uns einen Termin vereinbart.
Zum einen bieten sie im Auftrag des Jugendamtes ambulante Hilfe bei der Erziehung an und haben in diesem Arbeitsbereich ca 40 Mitarbeiter*innen. Die Hauptprobleme, auf die sie dabei stoßen, sind das veränderte Rollenverständnis in den Familien, das Abrutschen von Jugendlichen in Drogensucht und Prostitution sowie die Wohnungsnot.
Zum anderen kümmern sie sich um eine bilinguale Erziehung, weil sie überzeugt sind, dass Kinder ihre Muttersprache für eine gesunde Entwicklung brauchen. In 25 Jahren harter Überzeugungsarbeit haben sie erreicht, dass mit Unterstützung des Senats in sechs Berliner Grundschulen Unterricht in der kurdischen Sprache Kurmanci angeboten wird. Sie betreiben inzwischen zwei bilinguale Kindergärten und hoffen, in Kürze auch eine bilinguale Grundschule eröffnen zu können, in der dann in Arbeitsgemeinschaften auch die anderen kurdischen Sprachen unterrichtet werden sollen.
Muttersprachlicher Unterricht wird in der Regel über die jeweilige Botschaft organisiert, was in Bezug auf die kurdische Sprache von der türkischen Botschaft verweigert wird. Serif, ein ehemaliger Kollege von Serra aus der Stadtverwaltung in Diyarbakir lebt seit drei einhalb Jahren in Berlin und leitet die Yekmal-Akademie, in der Lehrmaterial für die kurdische Sprache erstellt wird. Yasar, ein Sprachwissenschaftler arbeitet daran, Yekmal in weiteren Bundesländern zu etablieren. In Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz gibt es schon Ansätze.
Im Anschluss sind wir bei einer zweiten Stadtteilinitiative zu Gast. Die Mitglieder besuchen die Familien von Zugewanderten und Geflüchteten, sprechen mit ihnen über ihre Sorgen und motivieren die Eltern, ihre Kinder in den Kindergarten zu schicken, um ihnen einen guten Start in die deutsche Gesellschaft zu vermitteln. Auch hier spielt Sprachunterricht eine zentrale Rolle – die rein türkische Mitarbeiter*innenriege machte uns allerdings unmissverständlich klar, dass Kurdisch für sie nicht zum muttersprachlichen Programm gehört. Trotz der gegenseitigen Versicherung, die Politik bei unserem Gespräch außen vor zu lassen, kam es schnell zu einem heftigen Streit zwischen einer der Türkinnen und der Dolmetscherin über politisch aufgeladene Begriffe. Letztere wollte daraufhin nicht weiter übersetzen. Es war nicht leicht, das Gespräch wieder in Gang und einigermaßen gesittet zu Ende zu bringen. Die Dolmetscherin war noch lange sehr aufgebracht und meinte, sie sei es leid, sich immer wieder für ihr Kurdentum rechtfertigen zu müssen. Zum erstenmal äußerte sie die Befürchtung, dass ihnen diese Begegnung bei ihrer Rückkehr schaden könnte. Es tat mir leid, sie dem unwissentlich ausgesetzt zu haben.
Ich teile die Überzeugung, dass die Muttersprache eine wichtige Basis für eine gesunde Entwicklung und eine starke Identität ist, besonders in der Diaspora. Wenn aber jede Bevölkerungsgruppe das für sich organisiert, besteht doch die Gefahr, dass sie unter sich bleiben und den Weg in unsere bunte Gesellschaft nicht finden.
Dr. Gisela Penteker leitet die Reisen von IPPNW-Mitgliedern in die Türkei.